Ein Gastbeitrag von Berthold Voitl
Das neue Album von Jenny Lewis kann vor allem deshalb punkten, weil ihr Gesang nie so gut war wie auf „On The Line“.
Bei der Ankündigung der Vorabsingle „Red Bull and Hennessy“ hatte der Rezensent schon Sorge, das neue Album von Jenny Lewis könnte eine klebrige, übel schmeckende Sache werden. Doch die Vorstellung von einem Gebräu aus süßlichem Energy-Drink und hochprozentigem Cognac führt glücklicherweise in die Irre. Vielmehr knüpft die erste Single musikalisch an das Vorgängeralbum „The Voyager“ von 2014 an. Dort dominierte ein aufgeräumter, entspannter Pop-Sound, der starke Anleihen an die 70er-Jahre zeigte.
„On The Line“ ist insgesamt ruhiger geraten. Daran schuld sind zwei einschneidende Erlebnisse in Jennys Biografie: der Tod ihrer Mutter und das Ende ihrer langjährigen Beziehung zu Johnathan Rice. Einige Songs beschäftigen sich damit direkt wie „Little White Dove“ („With their long white coats and stethoscopes“) oder „Dogwood“ („You thought I was your muse/But all along it was you“), andere handeln vom traurigen „Party Clown“ oder erzählen von der Begegnung mit einem unter Narkolepsie leidenden Dichter aus Duluth („Heads Gonna Roll“).
Eine melancholische Stimmung zieht sich durch das ganze Album, das von Ryan Adams und Beck produziert wurde. Als Gastmusiker fanden sich Legenden wie Ringo Starr (!), Jim Keltner, Benmont Tench (einst Keyboarder bei Tom Petty’s Heartbreakers) und Don Was ein. Aber keiner dieser Beteiligten prägt den Sound des Albums nachhaltig oder lässt einen Zweifel daran, dass Jenny Lewis hier ihr Pop-Ding macht.
Auf „On The Line“ liefert Jenny ihre reifste Leistung als Sängerin ab. Ihre Stimme klingt mal nach Carole King aus Tapestry-Tagen oder nach Stevie Nicks aus der Bella Donna-Ära – und nur wenigen Sekunden später kann sie zart, mädchenhaft sein. Zusammen genommen fesselt diese facettenreiche Stimme und trägt auch über schwächere Songs hinweg. Die ganz großen catchy Stücke, die „The Voyager“ hatte, sind hier leider Mangelware.
Doch der Blick zurück verspricht mehr als nur Trost: Auf allen Alben von Rilo Kiley mit Jenny Lewis als Leadsängerin sowie auf ihren bisherigen drei Soloalben finden sich jeweils mindestens 2-3 Songs, die heute noch einem kritischen Hörtest standhalten, die ohne Schaden zu nehmen, überdauert haben. Es besteht eine gute Chance, dass der Mix aus Energy-Drink und Cognac („Red Bull and Hennessy“) die Aufnahmeprüfung in diesen Kanon besteht. „Wasted Youth“ oder der Titelsong haben womöglich auch das Zeug dazu. Time will tell.
Albuminfos Jenny Lewis – On The Line
Künstler: Jenny Lewis
Albumname: On The Line
VÖ: 22.03.2019
Label: Warner
jennylewis.com
Fotos: Autumn de Wilde