KONZERT-REVIEW: Nick Cave, London, 23. Juli 2020

Konzerterlebnisse im Corona-Jahr 2020 sind etwas Spezielles. Nick Cave bestreitet seinen Solo-Auftritt im Londoner Alexandra Palace allerdings würdevoll.

Nick Cave

Eigentlich hätte der Australier im Mai und Juni 2020 auf Deutschland-Tour sein sollen, gemeinsam mit seinen Bad Seeds, in vollen Hallen mit Menschen, die mit ihm weinen und schmachten. Aber nun ist alles anders, die Termine sind ins kommende Jahr gewandert und Cave spielt ganz alleine im legendären Ally Pally, aus aller Welt gegen einen Eintrittspreis per Stream abrufbar.

Doch auch das entfaltet eine unglaubliche Wucht: der 62-Jährige alleine am Klavier, durch einige geöffnete Türen fällt das Licht hinein, irgendwie spähend, irgendwie hoffnungsvoll. Und trotzdem ist der Auftritt unglaublich intim, Nick Cave ist am Klavier oft in Nahaufnahme zu sehen, Ansagen an das Online-Publikum spart er sich komplett.

Mit „Idiot Prayer“, nach dem auch der Konzertstream benannt ist, geht es los, „Sad Waters“ folgt. Alle Tracks werden sitzend am Klavier gespielt, die Live-Energie ist trotzdem immer da. Dass das bereits im Juni aufgezeichnete Konzert kein kompletter One Shot ist, fällt zwischen den Songs nur marginal auf. Der Papierberg um die Füße des Sängers wächst während des Auftritts immer weiter an, die Blätter zu den gespielten Liedern wandern einfach auf den Boden.

Die Songauswahl ist stark, Stücke wie „Girl In Amber“, „Nobody’s Baby Now“, das noch recht neue und erstaunlich brüchige „Waiting For You“ oder der noch immer unfassbar starke „Higgs Boson Blues“ entfalten sich in diesem Setting ganz besonders. Auch mit der Beleuchtung rund um den hageren Mann mit seinem Klavier in der Mitte des großen, leeren Raums wird gespielt, beim Grinderman-Song „Man In The Moon“ sitzt er fast im Dunkeln.

Zwischen „The Mercy Seat“ und „Jubilee Street“ gibt es mit „Euthanasia“ dann sogar einen ganz neuen Song zu hören – ein vergleichsweise kurzes und berührendes Stück, das in seinem Umfeld allerdings ein bisschen untergeht.

Als es Richtung Finale geht, darf natürlich der Cavesche Schmatzfetzen „Into My Arms“ nicht fehlen. „The Ship Song“ ist ein weiterer Höhepunkt, mit „Galleon Ship“ beendet Nick Cave das Konzert.

Statt Zugaben-Geschrei folgt ein bildstarker Abgang: Der Musiker schreitet vom Klavier in der Saalmitte weg, raus ins Licht. Visuell wurde ganze Arbeit geleistet, akustisch ebenfalls. Und während andere Künstler vor hysterisch warnblinkenden Autos auftreten, gibt Nick Cave der von Corona so sehr geplagten Konzertbranche ein wenig Würde zurück.

 

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Foto: Joel Ryan

 

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