INTERVIEW: Enno Bunger

Enno Bunger veröffentlicht Ende des Monats sein neues Album. Es ist unter ganz besonderen, sehr traurigen Umständen entstanden. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.

Enno Bunger

Im Interview mit bleistiftrocker.de spricht Enno Bunger unter anderem über die Krebserkrankung seiner Freundin, schwarzen Humor und Britpop-Momente auf seinem neuen Album „Was berührt, das bleibt“ (VÖ: 26.07.).

bleistiftrocker.de: Wie würdest du selbst dein neues Album charakterisieren?

Enno Bunger: Es ist eine sehr persönliche Platte geworden. Auf der letzten war ich ja auch etwas gesellschaftskritisch unterwegs, dafür hatte ich dieses Mal tatsächlich keinen Platz, weil ich erst mal meine persönlichen Dinge klären und wieder klarkommen musste. Musikalisch ist es eine bunte Indie-Pop-Platte. Letztlich bin ich Singer/Songwriter, aber seit einiger Zeit suche ich mir das passende Genre für jeden Song und jeden Text aus. Ich denke da nicht mehr so eng und entferne mich von den Grenzen. Früher hätte ich selbst nicht gedacht, dass ich mal ein Sechseinhalb-Minuten-Stück rappen würde.

Und worum geht es auf „Was berührt, das bleibt“ genau?

Die Platte ist deshalb sehr persönlich geworden, weil bei mir zwei Dinge passiert sind, die ich „negativer Lottogewinn“ nennen würde. Der unwahrscheinliche Fall ist eingetreten, dass zwei Menschen in meinem allernächsten Umfeld plötzlich lebensbedrohlich krank geworden sind. Einen davon habe ich dann auch verloren. Und das macht was mit einem, das lässt einen nicht kalt. Ich musste das Album für mich schreiben, weil ich mich damit auch ein Stück weit selbst therapiert habe. Wenn ich Songs schreibe, ist es für mich eben auch so eine Art Tagebuch. Es hilft immer, darüber zu reden und in meinem Fall hilft es auch, darüber zu schreiben.

In welcher Phase hast du die Songs denn geschrieben? Schon mittendrin oder erst im Rückblick?

Es gibt ein paar Zeilen bei „Stark sein“, die sind tatsächlich im Krankenhaus entstanden. Aber der Großteil immer in der Retrospektive, indem ich auf die Dinge zurückgeblickt habe. Denn meistens war es mir noch zu nah und ich musste erst mal selbst für mich damit fertig werden. Und ich hatte auch erst mal keinen Bock auf gar nichts. Es geht ja zum einen um die Krebserkrankung meiner Freundin Sarah und darum, so eine Nachricht erst mal aufzunehmen. Und schon ein halbes Jahr davor ist Lena, die Freundin meines besten Freundes und Schlagzeugers Nils, an Leukämie erkrankt. Das hat uns einfach aus der Bahn geworfen. Und trotzdem kannst du nicht jammern, das bringt ja nichts. Natürlich ist man dann einfach im Funktionier-Modus und macht alles, was man kann und hält den Kopf einfach über Wasser.

Wie schafft man das in so einer Situation?

Schwarzer Humor hat uns dabei eigentlich immer geholfen. Zum Beispiel der Moment, als ich mit zur Chemo gegangen bin, heulen musste und meine Freundin sagte: „Wie geht es dir eigentlich gerade?“ Und ich: „Hä, siehst du nicht, dass ich grad voll am heulen bin?“ Und sie meinte dann nur: „Du siehst doch genauso aus wie immer.“ Das fand ich so unglaublich lustig, dass es dann auch eine Zeile geworden ist.

Das muss man sich wahrscheinlich auch nicht aufschreiben, weil es ohnehin im Kopf bleibt.

Genau. Bei aller Schwere und Ernsthaftigkeit ist es gut, auch einen befreienden Zugang dazu zu haben und es auch immer wieder aufzubrechen. Es gab auch einen sehr lustigen Moment in der Studio-Aufnahme von „Konfetti“, bei der Nils am Schlagzeug saß und eigentlich war schon alles fertig eingetrommelt. Bei dem Lied geht es ja um Lena, die an der Leukämie verstorben ist. Dann sagte Tobi Siebert, unser Produzent: „Nils, lass noch mal einen Take machen und tu doch mal so, als hätte der Song irgendwas mit dir zu tun. Spiel es mal ein bisschen emotionaler.“ Diese Art Humor ist natürlich sehr speziell. Wir haben das in dem Moment sehr gefeiert. Natürlich kann das als Außenstehender keiner bringen, aber in so einen engen Kreis auch mal zynisch zu sein ist ein leichterer Zugang, den Sarah und Lena auch hatten.

Du hast ja schon einige Singles aus dem Album veröffentlicht – die heftigsten Songs, würde ich sagen. Widersprichst du mir da?

Das ist natürlich auch Interpretationssache. Klar, es wird viel vom Kern des Albums erzählt, es war mir wichtig, dass da Songs dabei sind, die das tun. Aber die heftigsten Brocken kommen eigentlich mit „Glaube an die Welt“ und „Wofür“, das sind eher so zentrale depressive Themen, die auf Albumlänge besser funktionieren. Die wollte ich noch nicht vorab veröffentlichen, das war mir zu düster, zu schwer. Ich musste die Songs trotzdem schreiben. Aber auch ein Lied wie „Konfetti“ ist eine große Verneigung und ein großer Lobgesang auf einen der tollsten Menschen, den es aus meiner Sicht jemals gegeben hat. Es ist ein Lied voller Liebe und kein total destruktives Werk. „Stark sein“ ist sehr kämpferisch und „Ponyhof“ ist mehr oder weniger auch ein Dankbarkeitslied.

Das Album ist natürlich längst fertig, aber es dauert noch ein bisschen, bis es veröffentlicht wird. Was passiert denn bei dir als Künstler in der Zwischenzeit – abgesehen von Interview-Terminen wie unserem gerade?

Auf jeden Fall Promo-Termine und natürlich Tourvorbereitung. Und ich will endlich mal Urlaub machen, wenn ich es schaffe. Ich bin Anfang des Jahres direkt nach Berlin ins Studio, kam Ende Februar wieder raus und habe gerade so die Deadline eingehalten, damit es in diesem Jahr noch mit der Veröffentlichung klappt. Als wir im Studio fertig waren, haben wir die Nacht noch durchgemacht und waren in einer Kneipe. Ich habe ein halbes Bier getrunken und mich danach übergeben, weil so viel Druck abgefallen ist. Die körperliche Erleichterung musste irgendwie raus. Auch in dem Wissen, dass jetzt eine bessere Zeit kommt als die, durch die ich jetzt durch bin. Die Hörer steigen jetzt da ein, aber ich singe über meine Vergangenheit – und bin trotz aller Scheiße auch dankbar.

Wie wird es für dich sein, wenn du die Songs live spielst?

Das ist genau wie gerade an den Interview-Tagen: Ich rede viel darüber und merke, dass mir das total gut tut. Es hat was Befreiendes, über Dinge zu reden, die raus müssen. Und genauso tut es auch gut, darüber zu singen, auch wenn es traurig ist. Wenn ich mir eins hätte wünschen können, dann natürlich, dass ich diese ganze Scheiße nicht hätte schreiben müssen. Ich kann es aber nicht ändern. So hat zum Beispiel Nils gesagt: „Wenn du irgendwas künstlerisch da rausziehen kannst, dann schreib, dann mach das. Lena hätte sich gefreut.“ Er weiß ja, dass das mein Beruf ist und das habe ich dann gemacht.

Du hast vorhin „Wo bleiben die Beschwerden?“ angesprochen, deinen bislang politischsten Song. Er ist inzwischen etwa vier Jahre alt und man hat nicht den Eindruck, dass sich seitdem etwas gebessert hätte. Hast du denn die Beschwerden vernommen, die du damals gefordert hast?

Ich habe unglaublich viel Zuspruch bekommen, aber natürlich von der Seite, von der es auch zu erwarten war. Von den üblichen Leuten, die politisch aktiv sind, aber auch von Leuten, die nicht in der Materie drin waren und den Fall Oury Jalloh nicht kannten. Eigentlich habe ich nur positives Feedback bekommen, wie man hoffentlich auch nur positives Feedback auf so einen Song bekommen kann. Er wendet sich gegen rassistische Gewalt und wer mit einem bisschen Menschenverstand könnte da sagen, dass das nicht gut sei? Und mit den anderen will ich auch überhaupt nicht reden. Aber dieser moralische Kompass wird gerade immer wieder in Frage gestellt, selbst in eigentlich liberalen Zeitungen wird diskutiert, ob man Leute vor dem Ertrinken retten darf oder nicht. Es ist völlig absurd, dass diese Frage gestellt werden muss. Und es ist absolut klar, dass Carola Rackete kein Verbrechen begangen hat. Es ist die Pflicht von uns allen, Leute in Lebensgefahr zu retten. So, das war jetzt meine Bono-Ansprache.

Das zeigt aber, dass der Song aktueller den je ist.

Und deshalb werde ich ihn natürlich auch weiterhin spielen. Ich habe jetzt gerade gelesen, dass die NSU-Akten aus Hessen in 120 Jahren veröffentlicht werden sollen. Dann werde ich diesen Song noch 120 Jahre jeden Abend spielen, bis die Scheiße veröffentlicht ist. Das kann ja wohl nicht sein. Wer hat denn da was zu verbergen, da stimmt doch irgendwas nicht. Wir brauchen noch mehr solcher Songs und noch mehr, die sich positionieren. Es machen jetzt ja auch immer mehr, das finde ich gut.

Im Pressetext zu deinem Album ist mir der Satz aufgefallen, dass Songs wie „Stark sein“ oder „Konfetti“ an „Höhepunkte von Oasis oder Robbie Williams“ erinnern. Das wäre mir so jetzt nicht direkt in den Sinn gekommen. Fühlst du dich da korrekt beschrieben?

Es war nicht meine Idee, aber ich habe mir einen Autoren ausgesucht, der sehr schön schreibt. Er hat mal in einer Review über eines meiner Alben den Nagel auf den Kopf getroffen, ohne mich zu kennen, da habe ich ihn diesmal gefragt und er hatte zum Glück Zeit und Lust. „Stark sein“ hat ganz klare Britpop-Anleihe, klassischer Klavier-Balladen-Neunziger-Britpop. Soll es jedenfalls sein und da habe ich zumindest auch an Oasis gedacht.

Dann aber eher musikalisch als textlich? Denn deine Texte gehen deutlich tiefer als die von Oasis.

Aber hör doch mal „Stop Crying Your Heart Out“ oder „Don’t Look Back In Anger“ – die haben durchaus auch nicht nur flache Sauf-Songs. Das sind dann vielleicht die lauten. Aber ich wurde ja schon als „Balladen-Bunger“ bezeichnet und habe da so eine gewisse Vorliebe. Es sind mit die besten Songs, die es gibt. Sie sind auf jeden Fall geblieben, weil sie mich irgendwann mal berührt haben.

Stichwort „Balladen-Bunger“: In unserer aktuellen Folge der Popmillionäre hat Sven van Thom festgestellt, dass du es immer auf herausragende Weise schaffst, nicht in den Kitsch abzudriften. Wie machst du das?

Ich habe da irgendwie ein Kitsch-Radar, weil ich das verhindern will. Ich weiß natürlich, dass ich emotionale Musik mache und es geht schnell, dass man das zu groß aufbläht. Ich versuche dann, die Melodie ein bisschen kleiner zu halten, damit sie nicht vom Text ablenkt. Dadurch steht der Text mehr im Vordergrund. Das ist so ein bisschen das Prinzip von The National, das ich da übernommen habe. Irgendwann will ich aber auch mal einen Stadion-Song wie „You’ll Never Walk Alone“ schreiben.

 

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