INTERVIEW: Rocky Votolato

Rocky Votolato ist ein Mann der leisen Töne. Auf der Bühne steht der Singer/Songwriter aus Seattle meistens ganz alleine, nur mit Gitarre und Mundharmonika. Mit seinen sympathischen Auftritten und Alben wie „Makers“ und „True Devotion“ hat sich der 34-Jährige inzwischen auch in Deutschland eine treue Fanschar erspielt.

Wir haben uns im Rahmen des Festivals „Tübingen lauscht“ am 23. Juli mit Rocky Votolato unterhalten.

Rocky Votolato, Interview

Frage: Hallo Rocky, seit wann bist du wieder in Deutschland unterwegs?

Rocky Votolato: Ich bin erst heute eingeflogen. Matthias, mein Booker, hat mich vom Flughafen abgeholt und direkt hierher gefahren.

Dann bist du also sehr müde?

Ich denke „spacig“ ist das beste Wort dafür. Wir waren vor der Show kurz im Hotel und ich habe versucht zu schlafen, das hat allerdings nicht geklappt. Einfach ein „Jetlag“-Gefühl.

Du hast heute einen neuen Song gespielt. Gibt es noch mehr neues Material von dir?

Ja, es gibt zehn oder elf Songs, die auf ein neues Album kommen werden. Es wird im Frühjahr 2012 auf Barsuk Records veröffentlicht.

Spielst du auf deinen Konzerten noch mehr neue Songs?

In einem kompletten Set spiele ich wahrscheinlich zwischen drei und fünf davon. Das ist dann eine kleine Preview für das neue Album.

Ist schon alles aufgenommen?

Die meisten Songs sind aufgenommen. Sie müssen aber noch gemixt werden, es ist also alles noch in Arbeit.

Wie kommt es, dass du so oft in Deutschland spielst?

Mein Booker Matthias und ich sind in den letzten Jahren sehr gute Freunde geworden und seit 2008 bin ich regelmäßig hier. In den USA spiele ich drei Touren im Jahr und komme zweimal nach Europa. So funktioniert es super.

Spielst du dann immer in den gleichen Clubs?

Nein, ich spiele immer an unterschiedlichen Orten. Es gibt so viele Städte in Deutschland, in denen man auftreten kann, da bringen wir immer etwas Abwechslung rein. Einige Städte wiederholen sich aber natürlich auch.

Ist Musiker dein Beruf oder machst du noch etwas anderes?

Nur Musik. Ich hatte seit 2006 keinen anderen Job.

Und du verdienst mit der Musik genug?

Ja. Es ist kein glamouröser Lebensstil, aber es funktioniert. Und ich bin sehr glücklich, das machen zu dürfen. Deshalb arbeite ich sehr hart daran, gute Alben und gute Shows abzuliefern.

In den USA gibst du regelmäßig Wohnzimmerkonzerte. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Es ist eine sehr coole Idee, die mein Manager hatte. Ich frage einfach meine Fans, ob jemand ein Konzert mit mir veranstalten möchte. Wer das will, schickt mir einfach ein Foto von seinem Wohnzimmer. Dann finden wir raus, wie viele dort hineinpassen und verkaufen Karten. Online veröffentlichen wir nur die Stadt und niemand kennt die Adresse, es ist also eine Art Geheimkonzert. Erst am Abend vor dem Konzert bekommen die Besucher eine Mail mit der Adresse. Meistens sind es zwischen 25 bis 50 Menschen, also eine sehr kleine und intime Show in einer Umgebung, in die meine Musik gut passt. Nur ich und meine Akustikgitarre, das macht sehr viel Spaß und auch den Zuhörern gefällt es.

Wären solche Konzerte auch in Deutschland denkbar?

Ich habe mit Matthias schon darüber nachgedacht. Aber es wäre hier wohl etwas komplizierter als in den USA. Und er müsste sich um die Ticketverkäufe kümmern, was in den USA mein Management macht. Wir versuchen gerade, einen Weg zu finden. Ich würde es jedenfalls auch sehr gerne hier in Deutschland machen. Die Shows sind ganz anders als in einem Club.

Du spielst also lieber in kleinem Rahmen?

Ich spiele akustisch und ich glaube ich kann die Leute besser erreichen, wenn ich in einer kleinen Halle spiele. Ich würde aber nicht sagen, dass ich es bevorzuge, denn es hat Vor- und Nachteile. Es ist auch sehr schön, vor vielen Leuten zu spielen. In den USA kommen immer etwa 500 Leute. Beim nächsten Mal werde ich dort sogar mit Band spielen, denn bei solchen Shows ist es besser, wenn mehr Sound von der Bühne kommt. Wenn ich akustisch spiele, sind kleine Shows aber besser.

Was war denn die größte Show, die du je gespielt hast?

Ich habe mal als Support von Death Cab For Cutie in Utah vor 5000 Leuten gespielt. Meine größte Headliner-Show habe ich wohl in meiner Heimat Seattle gespielt, da waren 800 oder 900 Leute da.

Deine Musik klingt meistens sehr traurig und melancholisch. Kannst du denn auch fröhliche Songs schreiben?

(überlegt) Ich glaube, dass ich in alle meine Songs immer auch Hoffnung einstreue. Es ist natürlich nicht wie bei Cat Stevens, der immer positive und tolle Songs schreibt. Ich komme eben aus dieser Tradition, mehr traurige Lieder zu schreiben, die sich um Depressionen und Angst drehen. Die Punkszene hat mein frühes Songwriting sehr geprägt. Aber inzwischen kann ich auch andere Songs schreiben, vielleicht keine positiven, aber welche aus einer anderen Perspektive. Nicht mehr so egozentrisch.

Schreibst du über die Stimmung, in der du gerade bist?

Ja, es ist meistens autobiografisch, aber immer auch mit fiktionalen Elementen, etwa die Perspektive einer anderen Person. Ich lese viele Gedichte und Bücher und das beeinflusst mich sehr. Das vermische ich mit meinen eigenen Erlebnissen. Autobiografie und Fiktion halten sich also die Waage.

Wie schwer ist es denn, diesen autobiografischen Teil den Zuhörern zu präsentieren?

Das ist wirklich sehr schwer. Aber man muss es mit Taktgefühl tun und mit besonderen Fähigkeiten als Songwriter, dann fühlt es sich nicht an, als würde man sein Tagebuch preisgeben.

Als ich deine Songs zum ersten Mal gehört habe, ist mir sofort die Ähnlichkeit zu Elliott Smith eingefallen. Magst du diesen Vergleich?

Natürlich. Am Anfang meiner Karriere war ich wie er, sogar als Person. Aber ich bin aus dieser ignoranten Perspektive dem Leben gegenüber etwas herausgewachsen. Jetzt bin ich zwar noch in der Tradition dieser Singer/Songwriter und auch der Sound ist der gleiche. Ich habe Elliott Smith aber immer eher als jemanden gesehen, der zur gleichen Zeit wie ich Musik gemacht hat, und nicht als direkten Einfluss. Wir haben etwa zur gleichen Zeit angefangen, Alben zu veröffentlichen.

Und welchen Bezug hast du zu ihm?

Ich habe damals nie wirklich seine Musik gehört. Aber wir sind beide etwas aus der gleichen Gegend, kommen ursprünglich aus dem Süden, haben eine ähnliche Geschichte, mögen die gleiche Musik. Vielleicht klingen wir deshalb ähnlich.

Ich muss dir etwas Persönliches erzählen: Als es mir im letzten Jahr schlecht ging und ich nach einem richtig beschissenen Tag eine SMS an einen Freund geschrieben habe, war die Antwort: „Hör dir ‚Lucky Clover Coin‘ von Rocky Votolato an.“ Und der Song hat meine Stimmung genau getroffen und mich aufgebaut.

Das ist das Beste an meinem Job!

Auch wenn es nicht genau das Gefühl war, das der Song beschreibt?

Vielleicht tut er es doch. Menschen haben mehr gemeinsam, als sie denken. Die meisten wollen originell sein, individuell. Aber es gibt so viele ähnliche Erfahrungen, die wir als Menschen machen. Ich hoffe immer, dass meine Musik die Leute berührt. Und wenn sie davon etwas mitnehmen können, bedeutet mir das am meisten.

Und was bedeuten dir deine Songs selbst?

Für mich ist es ein heilendes Element, solche Songs geschrieben zu haben, als es mir so schlecht ging. Das ist es für mich auch immer noch, wenn ich ein neues Album mache. Und wenn es noch anderen hilft, ist das wunderbar. Dafür lohnt sich alles. Ist fühle mich immer sehr geschmeichelt und geehrt, so etwas zu hören. Vielen Dank, dass du mir das erzählt hast!

Interessiert es dich denn, ob die Leute deine Stimmung aus den Liedern aufnehmen oder eher, ob sie ihre hineininterpretieren?

Jeder interpretiert andere Erfahrungen in einen Song hinein und es gibt nicht nur meine Definition. Ich finde es besser, wenn es jemandem etwas Bestimmtes bedeutet. Deshalb spreche ich auch selten darüber, was meine Songs genau bedeuten, um nicht die Interpretation von jemandem zu ruinieren. Nicht dass sie dann sagen: „Ich dachte der Song würde davon handeln. Mist! Jetzt mag ich ihn nicht mehr.“ (lacht)

Aber solche Interpretationen fühlen sich für dich nicht an, als hätte jemand deinen Song ruiniert?

Nein, niemals. Ich bin glücklich, wenn irgendwer meine Musik anhört. (lacht) So sollten es Musiker immer sehen. Einfach glücklich darüber sein, wenn jemand die Musik mag.

Letzte Frage: Auf deiner Website kann man derzeit für die Setlist auf der nächsten US-Tour abstimmen. Welchen Song spielst du denn am liebsten?

Das ändert sich jeden Abend. Aber es gibt eine Handvoll, die ich auf jeden Fall gerne spiele. Zurzeit sind es natürlich die neuen Songs. Von denen, die aufgenommen und veröffentlicht sind, spiele ich wohl am liebsten die von „Makers“. Das ist mein Lieblingsalbum, mit ihnen fühle ich mich sehr verbunden. Die Songs sind für mich zeitlos, deshalb kann ich sie immer spielen, ohne dass sie alt werden. Zum Beispiel „Portland Is Leaving“, „Makers“, „White Daisy Passing“, „Tinfoil Hats“. Die spiele ich fast jeden Abend.

Vielen Dank für das Gespräch, Rocky.

Foto: Promo

(Im Original erschienen bei triggerfish.de am 30. Juli 2011.)