ALBUM-REVIEW: Sleater-Kinney – The Center Won’t Hold

Ein Gastbeitrag von Berthold Voitl

Sleater-Kinney finden für sich einen neuen Sound, verlieren darüber aber ein Band-Mitglied.

Sleater-Kinney

Ein dumpfes Rumpeln, metallene Perkussion-Klänge, die an Depeche Mode oder Einstürzende Neubauten erinnern. So legen Sleater-Kinney auf ihrem neuen Album gleich mit dem Titeltrack „The Center Won’t Hold“ los.

Ohne Zaudern geht es weiter: „Hurry On Home“. Die Nummer ist durchaus eingängig, hat kantige Riffs, wuchtige Drums und reiht sich fast nahtlos in den Song-Katalog von Tucker, Brownstein und Weiss ein. Die eher poppigen Keyboard- und Synthie-Sounds irritieren allerdings. Haben die drei Riot Grrrls ihren Bezug zum Punk-Rock, ihre Wut verloren? Hat die Rebellion sich überlebt? Der Verdacht steht erst mal im Raum: Schließlich saß bei diesem Album Annie Clark (aka St. Vincent) als Produzentin an den Reglern. Und die ist nicht dafür bekannt, Rock-Alben an die Rampe zu bringen.

Der Bruch mit dem vorherigen Sound folgt einem Plan. Corin Tucker spricht davon, dass sie etwas riskieren und das bisher Erreichte aufs Spiel setzen wollen. Für Carrie Brownstein ist es gar eine Herzensangelegenheit, auf „The Center Won’t Hold“ neue Möglichkeiten auszutesten. Auch Drummer Janet Weiss haut in die gleiche Kerbe: Da Brownstein und Tucker nicht dauernd zu ihren Gitarren greifen mussten, hatten sie mehr Freiheiten beim Sound.

Sleater-Kinney nutzen das unterschiedlich. „Bad Dance“ oder „Love“ könnten von verschollenen B-52’s-Scheiben stammen – so aufgekratzt und voller Energie sind sie. Andere Songs wie „Can I Go On“ und „The Future Is Here“ schrammen knapp am Ohrwurm vorbei. Der letztere entfaltet seinen Sog vor allem durch Corin Tuckers Stimme. Sie wählt hier zu Beginn das tiefe Register und gibt „The Future Is Here“ damit einen düsteren Gothic-Anstrich.

Das Mittelstück „Ruins“ – mit etwas über 5 Minuten auch der längster Song des Albums – setzt musikalisch noch eins drauf: Störgeräusche, stumpfe Beats, psychedelische Synthie-Flächen und stellenweise ein schriller Chor. Dagegen arbeitet Tucker stimmlich an. Bei dieser Nummer wird der Einfluss von Produzentin St. Vincent am deutlichsten. Den Schlusspunkt setzt „Broken“ – eine Ballade (!). Corin Tucker hat sich nach eigener Aussage bei dieser Komposition von einem Song der Pop-Queen Rihanna inspirieren lassen.

Auf der textlichen Ebene hingegen wird der Pop-Standard (Liebe und Herzschmerz) nicht bedient. Wut und Düsternis sind in fast jedem Titel zu spüren. Böse Zeilen bahnen sich den Weg ins Ohr: „My heart wants the ugliest things“ („A Restless Life“), „Everyone I know is wired / To machines, it’s obscene“ („Can I Go On“) oder „Darkness winnign again“ („Reach Out“). Sleater-Kinney haben melodiösen Indie-Pop mit abgründigen Lyrics erschaffen.

Mitten in die Promo-Phase zu „The Center Won’t Hold“ platzte die Nachricht, dass Janet Weiss die Band verlassen hat. Das zentrale Zitat („The band is heading in a new direction and it is time for me to move on“) aus ihrem Brief an die Fans, das ihren Ausstieg begründen soll, bedeutet aber mehr. Die Ex-Drummerin liefert damit das Fazit zum aktuellen Album: Sleater-Kinney haben sich – als Duo – bereits auf den Weg gemacht. Wir dürfen gespannt sein, wo sie das nächste Mal Halt machen.

 

Albuminfos Sleater-Kinney – The Center Won’t Hold

Sleater-Kinney - The Center Won't HoldKünstler: Sleater-Kinney
Albumname: The Center Won’t Hold
VÖ: 16.08.2019
Label: Caroline International
sleater-kinney.com

 

Fotos: Promo

 

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