INTERVIEW: Judith Holofernes

Für Judith Holofernes hat das Jahr 2017 intensiv begonnen: Ihr zweites Solo-Album „Ich bin das Chaos“ ist vor einigen Wochen erschienen, aktuell ist sie damit auf Tour. Wir haben sie vor ihrem Auftritt im Kölner Gloria getroffen.

Judith Holofernes

Hier gibt es das Video zum Interview mit Judith Holofernes.

bleistiftrocker.de: Hallo Judith, wie läuft deine Tour bislang?

Judith Holofernes: Es macht so Spaß. Es war eigentlich eine totale Schnapsidee, so früh auf Tour zu gehen. Davon haben mir ganz viele Leute abgeraten. Denn eigentlich muss man so acht Wochen warten, wenn eine Platte raus ist, damit sich das rumsprechen kann. Und ich weiß auch genau, dass mich in drei Wochen Leute ansprechen werden, dass sie es nicht mitbekommen haben. Es war ein sehr selbstsüchtiger Gedanke. Bei mir war es immer so, dass ich die Zeit ziemlich unangenehm finde, wenn so eine Platte rauskommt oder auch die Zeit davor. Ab dem Moment, ab dem ich Publikumskontakt habe, wird wieder alles gut.

Du gehörst also zu den Künstler, die am liebsten auf der Bühne stehen und spielen?

Mir macht beides Spaß, Schreiben und Spielen. Die Zeit dazwischen finde ich sehr schwierig. Es dauert ewig, bis so eine Platte rauskommt, ungefähr ein halbes Jahr. Und dann wird es alles ganz virtuell, man redet nur über die Platte und hat aber noch keinen einzigen Menschen gegenüber gehabt, der emotional darauf reagiert. Deswegen dachte ich jetzt: Klar, ich geh einfach zur Veröffentlichung auf Tour.

Das Album „Ich bin das Chaos“ ist ja eine Mischung aus traurigen und fröhlichen Songs. Welche Stimmung überwiegt für dich persönlich?

Ich weiß überhaupt nicht, ob das von außen stimmt, aber für mich überwiegt etwas Strahlendes, Bejahendes. Ich empfinde das Album eher als hell.

Eine sehr herausragende Figur ist zum Beispiel der „Analogpunk“.

Ja, den mag ich auch sehr.

Ist es denn heutzutage eine der wenigen Möglichkeiten, wirklich noch Punk zu sein, indem man eben nicht bei Facebook und Co. ist?

Total. „Analogpunk“ ist dann tatsächlich so eine Art Liebeslied geworden, die Geschichte zwischen einem digitalen Hippie und einem analogen Punk. Aber die Ausgangsidee war genau die. Dass ich dachte, die nächste Art, Punk zu sein, muss logischerweise sein, dass man vom Netz geht. Oder, was halt auch jetzt schon passiert, dass man es wirklich reitet, dass man im Prinzip nur Hacker werden kann und es halt richtig verstehen und gestalten muss. Oder dass man im Internet nicht mehr zu finden sein wird. Und dann hat sich das so ein bisschen verselbstständigt. Sehr albern, die Idee.

Du führst auf deiner Homepage noch regelmäßig Blog – auch das ist in Zeiten von Facebook und Twitter, wo alles sofort raus muss, eher ungewöhnlich. Wie kommt das?

Der Blog ist für mich eigentlich eine Spielwiese und ein Ventil zum Schreiben. Ich schreibe einfach wahnsinnig gerne. Ich kann quasi gar nicht so viele Songs schreiben, wie ich singen kann. Ich bleibe auch zwischendurch ganz gerne im Schreiben. Und ich liebe zum Beispiel Twitter für diese kurze Form. Ich finde es toll als Gesellschaftsspiel mit den 140 Zeichen. Aber manchmal möchte man ja schon ein bisschen was Längeres haben.

Die Twitter-Nachricht, die wir neulich auf unserem bleistiftrocker.de-Profil bekommen haben, kam tatsächlich direkt von dir?

Ja. Ich schreibe tatsächlich allen, die mir folgen, eine Begrüßungsnachricht. Die ist copy-paste, steht ja auch so drin. Aber ich mache es tatsächlich so, dass ich mir das Profil kurz angucke und mich freue. Es ist beinahe so eine Art Meditation. Ich mache das auch als Herzensschulung. Es macht total Spaß und ist natürlich völlig absurd, wieviel Zeit das verschlingt. Mal gucken, wie lange ich das schaffe.

Die meisten kennen dich als Sängerin der Band Wir sind Helden. Was ist bei deinen Solo-Sachen anders?

Ich kann selbst ganz schlecht beurteilen, was an meinen neuen Sachen anders ist. Ich habe das Gefühl, dass vieles auch sehr verwandt ist. Und ich war ja in Wir sind Helden auch ich, es waren meine Melodien und Texte. Wir haben mit Wir sind Helden ja eh immer Glück gehabt, dass wir so abseits links vom Mainstream trotzdem ins Radio spazieren konnten. Ich glaube es ist jetzt einfach noch ein bisschen abseitiger.

Ist das Songschreiben für dich also genauso wie früher?

Es ist ein anderer Prozess. Bei den Helden haben wir die Musik alle zusammen geschrieben in unterschiedlicher Besetzung. Jetzt habe ich viel alleine geschrieben oder eben mit Teitur. Das ist für mich total schön, denn ich habe Musikmachen immer als etwas betrachtet, wo man auch promisk sein muss, dass man neue Sachen lernt. Das finde ich gut, dass ich aus meiner Komfortzone raus muss.

Du hast dich schon häufig politisch positioniert, vom berühmten „Ich glaube, es hackt“-Brief an die Bild-Zeitung bis zu Auftritten in Talkshows. Findest du, dass Künstler sowas generell zu selten machen?

Ich glaube, dass man es so machen muss, wie man es wirklich fühlt. Ich finde es auch blöd, wenn aus Leuten, die das so ernst meinen wie Bono von U2, Witzfiguren gemacht werden. Ich finde zum Beispiel auch nichts Schlimmes an dem Wort „Gutmensch“. Beide Wortbestandteile sind ziemlich ehrenwert. Viele von den Sachen, die ich öffentlich gesagt habe, habe ich nur gesagt, weil ich höflich bin und antworte, wenn mich jemand was fragt. Ansonsten ist es bei mir so ein bisschen „preaching to the choir“, wenn ich was gegen Nazis sage, ist das nicht groß überraschend. Aber bei Bands, bei denen man davon ausgehen muss, dass die vielleicht Leute im Publikum haben, die AfD wählen oder so, finde ich das sehr viel mutiger. Selbst wenn das Engagement dann so ein bisschen naiv rüberkommen mag. Da denke ich dann: Das Risiko für die ist eigentlich größer als für mich.

An einer Frage kommen wir nicht vorbei, nachdem wir uns mehrere Bilder im Artwork deines Albums angesehen haben: Woher kommt die Faszination für deine Haare, mit denen du auf den Bildern spielst?

Das ist tatsächlich ein Zufall und nur eine Bewegung. Das fand ich ganz schön, weil es eine Logik hat. Wenn man es aufklappt, gucke ich auf und denjenigen an. Wir wollten eigentlich ein chaotisches Cover. Aber das sah einfach alles bescheuert aus und war alles irgendwie Pseudo-Punk, aufgekratzt und hässlich. Dieses Cover hatte der Fotograf einfach noch dazu geschickt. Und ich dachte: Oder so! Ganz still und klein und sozusagen im Auge des Sturms.

Wie geht es denn nach der Tour für dich weiter?

Ich würde unheimlich gerne noch mehr spielen. Das wird mit Teitur ein bisschen schwierig, weil der zurück auf die Faröer muss, er hat auch ein Baby. Da müssen wir gucken, wie wir das weiter hinkriegen. Aber ich will auch Festivals spielen und im Herbst vielleicht noch mal auf Tour, mal gucken. Dann müssen wir Teitur irgendwie ersetzen, das wird wahrscheinlich sehr schwer.

 

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CD-Review „Ich bin das Chaos“ auf bleistiftrocker.de

Foto: Marco Sensche