Lust auf das Leben statt Schwermut: Mit ihrem neuen Werk bricht Lana del Rey in vielerlei Hinsicht mit allem, was sie davor gemacht hat. Nur in einer Sache bleibt sie sich treu.
Ein Gastbeitrag von Volker Dohr
Wer eine Rezension zu einer neuen Veröffentlichung von Lana del Rey verfasst, wiederholt zunächst einmal gebetsmühlenartig folgende Charakteristika zur Einordnung der Sängerin: Sie ist das Postergirl zwischen Glam und Trailerpark, hat Schwermütigkeit hörbar gemacht, ist ohnehin überaus düster (pardon: noir) und dennoch äußerst erhaben, man mag fast sagen: der Welt abhanden gekommen.
Diese Wiederholung ergibt vor einem Text über „Lust For Life“, dem fünften Studioalbum der Sängerin, sogar Sinn, denn: Lana del Rey bricht mit den meisten Konventionen, die sie davor so gerne kultiviert hat. Das beginnt mit einer lächelnden Sängerin auf dem Cover und endet mit Songs, die das Leben bejahen und nicht dessen Ende.
Dass diese Rechnung aufgehen kann, haben die vorab veröffentlichten Songs „Love“, „Lust For Life“ und „Coachella“ bewiesen. Für letzteren hat Lana del Rey das kalifornische Hipster-Festival besucht, um mit der Frage zurückzukehren, was wohl aus all diesen jungen Menschen wird – mündend in die Erkenntnis, dass sie das alles gerne für eine „Stairway to heaven“ tauschen würde.
Ganz dazugehören will sie also immer noch nicht, macht sich aber seit neuestem Sorgen um ihre Generation, vielleicht sogar ihre Hörerschaft. Led Zeppelin sind nicht die einzige Band, die bei der Beantwortung solcher Fragen als Zitatgeber herhalten dürfen: In „Heroin“ werden Mötley Crüe und Charles Manson erwähnt, während Lana del Rey ansonsten eher einfach gehaltene Lyrics wie „Flying to the moon again / dreaming about heroin“ ins Mikrofon schmachtet. Und schmachten kann sie natürlich immer noch.
Trotzdem ist „Lust For Life“ genau das geworden, was der von Iggy Pop entliehene Titel sagt: lebensbejahend. Lana del Rey hat offenbar beschlossen, Spaß am Dasein zu haben, das Leben ein wenig ernster zu nehmen und teilt das unumwunden mit. „It hurts to love you / but I still love you“ singt sie in „13 Beaches“, „Summer’s meant for loving and leaving“ in „White Mustang“. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Liebe die sonst so schwermütige Sängerin letztlich dann doch davon überzeugt hat, weiterzumachen. Was gut so ist, denn Songs wie „In My Feelings“ gehören zu den besten ihrer Karriere.
Ungewöhnlich sind die beiden Kooperationen mit A$AP Rocky – aber Lana del Rey sanft eingebettet zwischen Beats und Rap funktioniert nach mehrmaligem Hören dennoch gut. Ebenso das Duett mit Sean Oko Lennon in „Tomorrow Never Came“. Lana del Rey überzeugt ganz offenbar auch im Zusammenspiel, nicht nur im Alleingang. Das Finale nach 15 Songs ohne einen nennenswerten Aussetzer findet „Lust For Life“ dann im herrlich an Radioheads „Creep“ erinnernden „Get Free“ – auch wenn die Sängerin hier wieder alleine unterwegs ist.
Insgesamt ist „Lust For Life“ jedoch vor allem etwas näher an den Pop gerückt, weg vom zäh dahinfließenden, typischen Del-Rey-Sound. Der ist natürlich immer noch da, jetzt aber mehr im Hintergrund. Lana del Rey hat Platz gemacht für Neues, nicht nur musikalisch, sondern auch ihre Themen betreffend. Selbst ein politisches Statement, wenn auch nur ein ganz kleines („Is this the end of America?“ in „When The World Was At War We Kept Dancing“), ist drin.
Fast kauft man ihr all das ab, wäre sie sich in einer Sache nicht treu geblieben: Sie schwebt immer noch oberhalb der Dinge, ist vermeintlich über all das erhaben – oder es ist ihr schlicht egal, denn wenn die Welt im Krieg ist, wird sie tanzen. Man mag es ihr verzeihen – schließlich hat sie soeben das beste Album ihrer Karriere veröffentlicht.
Albuminfos Lana del Rey – Lust For Life
Künstler: Lana del Rey
Albumname: Lust For Life
VÖ: 21.07.2017
Label: Vertigo Berlin
lanadelrey.com
Fotos: Universal Music