Mit „Kreise“ legt Songwriter und Popsänger Johannes Oerding sein fünftes Studioalbum vor. Es verspricht eine Art Zeitenwende, inklusive Rückschau und Ausblick. Ein musikalisches Experiment, dessen Rechnung leider nicht ganz aufgeht.
Ein Gastbeitrag von Astrid Listner
Der Start ist holprig. „Kreise“ als Titelsong hat etwas meditativ Schweres und ist gewöhnungsbedürftig. Auf ihn folgt „Tetris“, der die Oerdingsche Leichtigkeit andeutet.
Mit „Hundert Leben“ ist Oerding voll da: der Songwriter, der textstark ist und mit einem leicht verständlichen Wortschatz und eingängiger Songmelodik Emotion weckt und mitfühlt. Und er beginnt zu erzählen – endlich. Auch „Unser Himmel ist derselbe“ ist in dieser Tradition – mit Wohlfühl-Umarmungspop, den man manchmal einfach braucht – der authentischste Song des Albums.
„Leuchtschrift“ liefert die Hymne, die beim Hören Bilder von einem Oerding-Konzert im Kopf kreiert, wo Tausende ihre Arme in die Höhe reißen und lauthals „Es ist wahr, was die Leuchtschrift in die Nacht schreibt. Es gibt sie noch, die große Freiheit“ mitsingen.
„Love me Tinder“ ruft ein Lächeln ins Gesicht. Ein kleiner Spiegel der digitalen Gesellschaft, schöne schlagfertige Sanftironie mit ernstem Unterton. Nachdem Oerding auf „Alles brennt“ sich bereits mit einem swingenden Blues wie „Nie wieder Alkohol“ an einem Augenzwinker-Song versucht und es nicht ganz funktioniert hat – hier ist ihm sogar ein Albumhighlight gelungen. Spätestens jedoch nach „Weiße Tauben“, einer Textkollaboration mit Samy Deluxe mit politischem Touch, fühlt man sich wie auf einem langsam rotierenden Schleudersitz.
Der sich in Interviews momentan oft als „Rastloser“ bezeichnende Songwriter ist auf einer Reise, auf der er vielleicht ein wenig zu viel experimentiert. Viele Stilrichtungen, viel ausprobieren und sich doch treu bleiben – das ist eben schwer und das hört man auch.
Dann ist da aber noch „Die Zeit nach der Zeit danach“. Man schnipst mit den Fingern im Rhythmus und kann nicht anders, als im Takt der Musik mit den Knien zu wippen. Lässig und groovy, ein schöner Wohlfühlsong.
Und ab geht‘s wieder in die Achterbahn mit „Zieh dich aus“, einem Pop-Jazzfunk-Stück, dessen Text eher nach einer Verlegenheitslösung klingt, gefolgt von Albumhighlight Nummer drei „Stein für Stein“ mit dem stärksten Songtext. Zum Ende gibt’s noch ein wenig Synthesizer-Softsound mit Akustik-Elementen.
Es bleibt der Eindruck, da hätte mit ein wenig mehr Zeit musikalisch und textlich noch mehr gehen können. Schön an „Kreise“ jedenfalls ist, dass es weniger gekünstelt klingt als sein Vorgänger. Was auf dem Album beim Durchhören als Musikmix irgendwie nicht funktioniert, verspricht in einer Konzerthalle ein abwechslungsreicher Abend zu werden. Denn live ist Johannes Oerding einfach stark.
Albuminfos Johannes Oerding – Kreise
Künstler: Johannes Oerding
Albumname: Kreise
VÖ: 05.05.2017
Label: Columbia
johannesoerding.de
Fotos: Marcel Schaar und Promo