Es war eine Szene, die bezeichnend für das schüchterne Auftreten von Ron Sexsmith ist: Beim Konzert in der Frankfurter Brotfabrik im November 2008 wechselt er von der Gitarre ans Klavier und bemerkt, nun einige der Zuschauer im Rücken zu haben. „I’m sorry I have to turn my back on some of you now“, sagt er entschuldigend. „But my back is my best side.“ Kurzes Schweigen. „No, actually, my best side is my back from a distance.“
Auch wenn er in diesem Moment sicherlich damit kokettiert hat, ist es das Understatement, das den kanadischen Singer/Songwriter auszeichnet. Die Konzertbesucher hatten den Mann mit den schönen Songs und dem traurigen Gesicht jedenfalls schnell ins Herz geschlossen.
„Long Player Late Bloomer“ heißt sein neuestes Werk, das schon elftes Studioalbum des 47-Jährigen. Und Sexsmith präsentiert sich in der Form von „Time Being“ (2006), erneut auf dem Höhepunkt seines Schaffens angekommen.
Schon der erste Song „Get In Line“ ist typische Sexsmith-Kost: Der Text handelt von dunklen Wolken, welken Blumen und der langen Schlange, in der man sich anstellen muss. Die Musik stellt diesen Text jedoch fast auf den Kopf, sie klingt zwar mitfühlend, aber ganz und gar nicht traurig. Dieses Muster durchzieht die Songs des Albums und steht ihnen sehr gut.
Besonders hitverdächtig tut sich „Believe It When I See It“ hevor. Immer wieder heulen die Gitarren auf und das Schlagzeug treibt auf den Ohrwurm-Refrain zu. Sexsmith schafft es auf „Long Player Late Bloomer“, diesen Standard bis zum Ende zu halten. Dabei fällt er immer mal wieder in die ihm eigene Traurigkeit ab („Won’t somebody tell me what these eyes are for? I can’t see light anymore“ aus „No Help At All“), streut Lebensweisheiten ein („It takes more than love, it takes two“ aus „Michael And His Dad“) oder wundert sich über das eigene Befinden („Im in the middle of love, having a real good time“ aus „Middle Of Love“).
Eigentlich müsste sich der Pressetext gar nicht auf die vielen Künstler berufen, die bereits mit Sexsmith gemeinsame Sache gemacht haben oder Songs von ihm gecovert haben. Macht er aber trotzdem und es tauchen dabei Namen wie Chris Martin, Elvis Costello, Bruce Springsteen, Rod Stewart oder Tom Jones auf.
Und dann folgt der irritierende Hinweis darauf, dass „Long Player Late Bloomer“-Produzent Bob Rock bereits mit Metallica, Bon Jovi und Michael Bublé zusammengearbeitet hat. Aber keine Angst, Sexsmith klingt auf seinem neuesten Werk garantiert nicht nach Metal, Radiorock oder Möchtegern-Swing, sondern nach dem gewohnt schönen Songwriter-Pop, mit dem er schon immer zu überzeugen wusste.
Das Klavier ist auf „Long Player Late Bloomer“ übrigens kaum präsent – auf dem Vorgängeralbum „Exit Strategy Of The Soul“ war es sogar noch auf dem Cover zu sehen. Das schüchterne Genie wird seinen Zuhörern dieses Mal also nicht so oft den Rücken zudrehen können.
Trackliste:
01. Get In Line
02. The Reason Why
03. Believe It When I See It
04. Miracles
05. No Help At All
06. Late Bloomer
07. Heavenly
08. Michael And His Dad
09. Middle Of Love
10. Every Time I Follow
11. Eye Candy
12. Love Shines
13. Nowadays
Label: Cooking Vinyl
VÖ: 25.02.2011
Format: CD
Bewertung: 5/6
www.ronsexsmith.com
(Im Original erschienen bei triggerfish.de am 24. Februar 2011.)