INTERVIEW: Drangsal

In wenigen Tagen veröffentlicht Drangsal sein neues Album „Exit Strategy“. Wir haben uns vorab per Zoom mit ihm zum Interview getroffen.

Drangsal

Mit bleistiftrocker.de spricht Drangsal unter anderem über seine Weiterentwicklung als Künstler, Konzerte in der Corona-Zeit und seine gescheiterte ESC-Bewerbung.

bleistiftrocker.de: Am 27. August erscheint „Exit Strategy“. Bist du vor der Veröffentlichung des dritten Albums immer noch so aufgeregt wie beim ersten?

Drangsal: Ich bin anders aufgeregt. Mir ist aufgefallen, dass die Gegebenheiten immer ein bisschen anders sind. Beim ersten Mal war Spotify gefühlt kein Thema, es ging vor allem um Print. Beim zweiten Album wollte man dringend auf die Cover, aber man musste auch Spotify pleasen. Jetzt geht es nur noch um Streaming, die meisten Print-Magazine sind nicht mehr. Ich habe schon das Gefühl, dass es jedes Mal ein komplett neues Game ist. Ich bin in dem Sinne weniger aufgeregt, weil es weniger aufregend ist, weil ich weniger aus dem Haus gehe. Alleine sowas wie eine Radio-Promo-Tour gibt es einfach nicht mehr. Ich bin jetzt vor, während und nach den Interviews zuhause. Aber es ist natürlich trotzdem aufregend, eine Platte auf die Leute loszulassen.

Wie kam es zu der thematischen Weiterentwicklung in deinen Songs? „Mädchen sind die schönsten Jungs“ ist ja ein gutes Beispiel dafür.

Ich habe mir gar nicht so viele Gedanken gemacht. Es wirkte wie etwas, das aus mir raus musste und dann hinterfragst du das auch nicht. Ich saß hier, habe angefangen den Song zu schreiben und fand es irgendwie wichtig und richtig. Es ist für mich auch interessant, nicht immer nur nach innen zu blicken, sondern auch mal nach außen. Das ist etwas, was ich mich einfach trauen musste.

Ist deutsche Popmusik queer genug?

(überlegt) Ich weiß nicht, ab wann ich etwas als queer genug bezeichnen würde. Ich wünsche mir generell in allem einfach Vielfalt auf allen Ebenen. Es gibt mit Sicherheit viele Künstler*innen, die queer sind und die nicht so krass gefeatured werden und das könnte sich ändern. Im italienischen Radio gibt es so eine Italien-Quote, vielleicht sollte man hier eine Frauenquote, Queerquote oder so einführen. Das fände ich nicht schlecht, auch für Festivals. Klar gibt es Leute, die sich darüber aufregen würden, aber nach einer Woche würde das auch aufhören. Das ist ja alles nur Gewohnheit. Ist mir die hiesige Poplandschaft queer genug? Nein. Es kann immer mehr sein.

Auf dem Cover deines neuen Albums bist du im Spiegel als Teufel zu sehen und auch bei deinen Live-Auftritten hast du zuletzt eine Teufelsmaske getragen. Was hat es damit auf sich?

Ich habe mich einfach gefragt, wie ich die Zeile „So wurde aus dem Bub ein Biest“ aus dem ersten Song „Escape Fantasy“ visualisieren kann. Und dann bin ich relativ schnell auf dieses Teufelsbild gekommen. Ich mag auch dieses klassische Hollywood-Teufel-Bild. Nicht das biblische oder der Beelzebub, der aussieht wie ein Geißbock. Ich mag den roten Teufel mit den Hörnern, ich mag Hellboy. Und dann muss ich auch ganz doll an das Cover von „Damaged“ von der Band Black Flag denken, auf dem Henry Rollins in sein Spiegelbild schlägt. Bei all diesen Sachen habe ich mir dann gedacht: Das ist es. Natürlich war es mir auch wichtig, dass das als Gesamtkonzept auf der Bühne wiederkommt. Aber das geht natürlich nicht mit diesem viereinhalbstündigen Make-Up und das wäre auch relativ unangenehm, in dem Aufzug spielen zu müssen. Aber die Latex-Maske taugt da schon sehr gut. Ich finde, dass eine Band auch immer eine visuelle Erfahrung ist.

 

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Du hast in deiner Karriere auch schon auf Englisch gesungen, das neue Album ist komplett auf Deutsch – hat aber einen englischen Namen. Wie kommt das?

Der Titel ist entstanden, weil ich keine Lust hatte, stringent zu sein. Also nicht „Harieschaim“, „Zores“ und wieder etwas Pfälzisches. Ich wollte einen ganz klaren Bruch kreieren und habe mich deswegen entschieden, dass das, was Pfälzisch am meisten gegenübersteht, ein englischer Titel sein könnte. Es gab einen Song, den ich im Januar 2019 geschrieben habe. Da habe ich die Demo „Exit Strategy“ genannt. Und in dem Moment hat es Klick gemacht und ich dachte ‚Ja, das ist es.‘. Der Rest wurde dann so drumherum gebaut. Ich kann mich auch leider nicht dazu zwingen, Englisch zu schreiben, wenn mir nichts Englisches einfällt. Ich mache es halt so, wie es rauskommt und dieses Mal kam es nur so raus.

Das Album endet mit „Karussell“, das sich in eine Euphorie spielt. Ist das eine gute Euphorie oder ist sie auch ein bisschen vergiftet?

Das ganze Album ist wie ein Besuch auf der Kirmes. Und die waren für mich als Kind schon immer ein bisschen geprägt von Melancholie und Trauer. Ich glaube, dass man sich auch in Trauer stürzen und euphorisch werden kann und man kann sich auch in Euphorie stürzen und traurig werden. So sehe ich das Album. Dass sich alles so aufbauscht und am Ende hört man nur noch eine Kirmes. Wie so ein Kreis und am Ende geht alles wieder von vorne los. Das kann ein Tag oder ein Monat oder ein Jahr sein, aber es ist auf jeden Fall etwas, das sich ständig wiederholt.

Der Pressetext zu „Exit Strategy“ beschreibt dich und deine aktuelle Musik mit dem Wort „gereift“. Siehst du das auch so?

Ich sehe mich als reifere Person an als 2016, ja. Die Reife ist einfach diese Erkenntnis, dass ich niemandem versuche zu verkaufen, dass das, was ich mache, fürchterlich schlau oder fürchterlich wichtig ist. Sondern nur, dass ich auf eine Art zufrieden mit mir selbst bin. Ich finde es nicht mehr so schlimm, wenn jemand nicht mehr mitgeht mit dem, was ich mache. Du kannst sagen: Das ist ein fürchterlich kluger und durchdachter Bruch und dass Genre-Grenzen hier gekonnt wegignoriert werden und dass sich jemand über die Grenzen des guten und schlechten Geschmacks hinaus entwickelt. Oder du kannst sagen, dass es sich der Masse anbiedernder Schlager-Pop-Scheiß ist. Die Reife in mir ist lediglich, dass es mich nicht mehr so krass interessiert. Ich muss mich dafür nicht mehr verteidigen und muss niemandem mehr versuchen, meine Musik schmackhaft zu machen, dem sie nicht schmeckt.

Du hast in der Corona-Zeit die neuen Songs aufgenommen. Hast du denn auch neue geschrieben?

In der Zeit, in der ich Songs aufnehme, die schon geschrieben sind, habe ich nicht immer Bock, Songs zu schreiben. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen für mich. Ich war einfach happy, dass ich während dieser Corona-Zeit was zu tun hatte. Dass es einen Zweck hatte, täglich aufzustehen und irgendwo hinzugehen und zu musizieren. Das hat mir persönlich sehr geholfen, durch die Anfangsphase von Corona durchzukommen. Natürlich war es an sich keine schöne Zeit, aber es war gut für mich, dass ich was zu tun hatte.

Du hast im vergangenen Jahr bei der abgespeckten Variante des Reeperbahn Festivals gespielt und stehst auch jetzt bei Corona-konformen Konzerten auf der Bühne. Gibt es Konzerte, die du nicht spielen würdest?

Es stand im Raum, dass ich vor Autos spielen sollte, da habe ich direkt nein gesagt. Aber natürlich fehlt mir auch Kontakt. Man ist jetzt auch gehemmt. Früher bin ich sehr gerne ins Publikum gegangen und habe mit den Leuten getanzt und gefeiert. Jetzt hat man da ein bisschen Angst davor – oder man darf es vielleicht auch gar nicht. Schön ist, wenn die Leute nicht sitzen müssen, das macht schon viel aus. Dann kann man tanzen und sich bewegen. Das ist für uns als Band dann auch wieder zuträglich, weil die Energie eine ganz andere ist.



Du hast dich vor einigen Jahren mal offensiv dafür beworben, für Deutschland zum Eurovision Song Contest fahren zu wollen. Hast du diesen Wunsch noch immer?

Ich würde es nicht mehr machen, nein. Ich glaube einfach, dass der Zug abgefahren ist. Ich hätte es sehr gerne gemacht, es war mein Wunsch und ich habe mich quasi angeboten, weil ich das Gefühl habe, dass es auf eine Art in der echten Musikwelt – es ist ja wie eine Parallelwelt – verschrien ist. Ich bin aber immer der Meinung, dass man interessante Künstler*innen da hinschicken sollte. Und ich hätte es ganz ironiefrei einfach gerne gemacht, weil ich es eine schöne Tradition und herrliche Community finde.

Hast du den diesjährigen ESC denn verfolgt?

Dieses Jahr habe ich den ESC sehr gerne geguckt und es waren supergute Sachen dabei: Ich habe die Schweiz total genossen, die Ukraine war mein persönliches Highlight. Und ich habe mir doll gewünscht, dass Italien gewinnt und Italien hat gewonnen. 2019 wäre ich gerne zum ESC gefahren und hätte sowas wie Måneskin gemacht. Eine Band, die unabhängig vom ESC agiert und die einfach Lust hat, Teil dieser Show zu sein. Sich nicht darüber erheben, sich nicht darüber lustig machen, sondern versuchen, mit einem Team einen guten Song zu schreiben und eine schöne Show auf die Beine stellen.

Wie blickst du auf den Streit zurück, den du damals mit dem NDR nach deiner öffentlichen Bewerbung hattest?

Wenn der Max von jetzt in 2019 wäre, würde er es anders angehen. Ich habe Dinge gesagt, für die ich jetzt nicht mehr stehen will. Ich bin etwas ruhiger geworden, innerlich und äußerlich, und habe viel reflektiert. Ich würde jetzt eher versuchen, intern zu wirken und den Leuten bei den Plattenfirmen und beim NDR versuchen klarzumachen, dass ich das wirklich gerne machen würde. Und dann könnten sie immer noch sagen, dass sie es nicht wollen. Ich bin da nur von allen Seiten auf absolute Mauern gestoßen, was auch sehr desillusionierend war und mir auch die Freude am ESC eine Zeit lang genommen hat. Und ich bin froh, dass ich dem NDR und dem Eurovision-Account die Freude an den sozialen Medien nehmen konnte, indem alle Leute die Kommentarspalten gespammt haben. Das finde ich immer noch lustig.

 

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Foto: Max vom Hofe

 

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