Kalush Orchestra treten für die Ukraine beim Eurovision Song Contest 2022 an. Vorab hat uns die Band einige Fragen per Mail beantwortet.
Bandleader Oleh Psiuk von Kalush Orchestra spricht im Interview mit bleistiftrocker.de unter anderem über die ESC-Teilnahme in Zeiten des Krieges im eigenen Land, die Auftritte bei den Pre-Partys sowie die Reaktion seiner Mutter auf den ihr gewidmeten Eurovision-Song „Stefania“.
Ein besonderer Dank geht an Olena Bondaruk vom ukrainischen Presseteam, die unsere Fragen entgegengenommen und die Antworten von Oleh Psiuk für uns übersetzt hat.
bleistiftrocker.de: Wie seid ihr in das Abenteuer Eurovision Song Contest gestartet?
Oleh Psiuk (Kalush Orchestra): Am 28. April haben wir uns mit dem gesamten Team von Kalush Orchestra in Lviv versammelt, um mit den Journalisten über unseren Trip nach Turin und unsere Vorbereitungen auf den Eurovision Song Contest 2022 zu sprechen. Jetzt warten in den kommenden Wochen viele Proben auf uns.
Wie sah euer tägliches Leben in der Ukraine zuletzt aus?
Wir machen noch immer Musik, aber natürlich nicht mehr so aktiv wie zuvor. Wir haben schon einige neue Songs, von denen wir hoffen, dass ihr sie alle bald hören könnt. Ich schreibe sehr viele Tracks, es sind gerade viele spannende Dinge in der Entstehung. Meistens kommen wir mit Kalush Orchestra als Band zusammen und fangen einfach an zu jammen. Das tun wir an jedem praktischen Ort – im Hotel oder sogar auf Zoom. Jeder Moment zählt.
Außerdem habe ich eine Freiwilligenorganisation gegründet, die Menschen hilft, Unterkünfte und Medikamente zu finden und umzuziehen. Wir haben nun 35 aktive Mitglieder in den ukrainischen Städten. Sie heißt „Ty de?“ – „Wo bist du?“. Das ist gerade sehr wichtig für Tausende unserer Bürger. Und ein anderes Mitglied des Kalush-Teams, MC KylymMen, ist Freiwilliger bei den Verteidigungskräften in Kyiv.
Natürlich ist es durch die aktuelle Situation in unserem Land schwierig, sich irgendwas sicher zu sein. Aber wir sind nun mehr denn je entschlossen, in Turin auf die Bühne zu gehen und die Ukraine beim Eurovision Song Contest 2022 zu repräsentieren.
Warum habt ihr euch dazu entschlossen, an einigen der Eurovision-Pre-Partys teilzunehmen?
Wir finden, dass wir durch unsere Aktivitäten nützlich für unser Land sein können. Wir machen noch immer freiwillige Arbeit und sammeln Geld, aber die größte Stärke unserer Band ist die Musik. Durch unsere Musik können wir die Botschaft an das große Eurovision-Publikum vermitteln. Das ist unsere Art, uns für unser Land nützlich zu machen.
Wir wollen, dass die Menschen in Europa ukrainische Musik als das wahrnehmen, was sie ist – authentisch, einmalig und mit einer eigenen Handschrift. Die Musik sollte auf dem Weltmarkt vorhanden sein.
Die Ukraine braucht gerade so viel Support wir möglich.
Wie seid ihr von den ESC-Fans empfangen worden?
Wir haben große Unterstützung gefühlt von den Menschen, die wir in Europa getroffen haben. Manchmal kommen Leute, Journalisten oder Organisatoren einfach auf uns zu, um ihre Gefühle zum Krieg in der Ukraine mit uns zu teilen. Sie erzählen uns, wie beeindruckt sie vom Mut und der Tapferkeit unserer Leute sind und wie schmerzhaft es ist, zuzusehen, was passiert. Sie fragen oft, wie sie helfen können.
Für viele seid ihr die Favoriten auf den Sieg beim diesjährigen Eurovision Song Contest. Denkt ihr das auch?
Unsere Mission im Wettbewerb ist, die Stimme des ukrainischen Volks zu sein für das, was über den Schmerz und das Leiden durch die Invasion erzählt werden muss. Wir glauben an unseren Song, er spiegelt den aktuellen Zeitgeist.
Außerdem haben wir beobachtet, dass es nicht viele Hip-Hop-Songs beim Eurovision gab und noch keine Rap-Gruppe gewonnen hat, deshalb sind wir glücklich, diese neue Seite zum Contest zu bringen.
Was würde ein Sieg beim ESC für euch und euer Land bedeuten?
Für uns würde der Sieg eine große Würdigung der ukrainischen Musik, ihrer Einzigartigkeit und Schönheit bedeuten.
Die Teilnahme am Eurovision Song Contest ist eine Möglichkeit, unsere Kultur auf einem internationalen Level zu repräsentieren und die Kraft des ukrainischen Geistes und der Tapferkeit auch in der Musik zu zeigen. In diesen Zeiten die Ukraine zu repräsentieren ist eine große Verantwortung.
Wir wollen auch den Ukrainern an diesem Eurovision-Abend zeigen, dass sie nicht alleine sind. Dass das gesamte Europa sieht, wie wir in diesem brutalen Krieg kämpfen und sie uns unterstützen. Dass es keinen anderen Weg gibt: Wir werden siegen.
Ihr habt bei den Pre-Partys und euren anderen Promo-Auftritten einen QR-Code gezeigt. Worum ging es dabei und könnt ihr ihn uns zur Verfügung stellen?
Vor der Eurovision-Woche waren Kalush Orchestra auf einer Promo-Tour durch Europa. Wir waren bei Fan-Events rund um den Eurovision: „Israel Calling 2022“ in Tel Aviv, „Eurovision in Concert“ in Amsterdam, „PreParty ES 2022“ in Madrid und wir hatten einen TV-Auftritt in Warschau in Polen.
Bei allen Konzerten haben wir statt Videos auf den Screens einen QR-Code gehabt, der zu einigen Spendensammlungen und Wohltätigkeitsorganisationen zur Unterstützung der Ukraine führt. Einer davon war „Help Ukraine“.
Hier ist der QR-Code, den wir überall hin mitnehmen:
Du hast „Stefania“ für deine Mutter geschrieben. Wie hat sie reagiert, als sie den Song gehört hat?
Ja, „Stefania“ habe ich für meine Mutter geschrieben, lange vor dem Krieg. Ich hatte ihr nie einen Song gewidmet, aber es war etwas, was ich schon seit langer Zeit tun wollte. Meine Mutter lebt in Kalush, meiner Heimatstadt im Westen der Ukraine. Das ist das Beste, was ich jemals für sie getan habe. Zum ersten Mal hat sie den Song live beim ukrainischen Vorentscheid für den Eurovision 2022 gehört. Die Organisatoren haben meine Mutter dann zur Performance unserer Band eingeladen. Hinter der Bühne haben wir sie fest umarmt. Es war die beste Reaktion und die beste Überraschung für mich.
Wie werdet ihr eure Zeit in Turin außerhalb von Proben und Shows verbringen?
Wir werden ganz bestimmt Ukrainer treffen, die während des Krieges aus der Ukraine fliehen mussten und nun in dieser Stadt sind. Und ich denke, dass wir auf jeden Fall Turin erkunden sollten, um mehr über die Geschichte und die Kultur der Stadt zu lernen und natürlich italienischen Kaffee zu trinken.
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Foto: Maxim Fesenko
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