Kommentar zum ESC 2023: Wo die EBU nachbessern muss

Der für die Ukraine in Großbritannien ausgetragene Eurovision Song Contest 2023 war grundsätzlich ein Erfolg. Er hat aber auch gezeigt, dass die EBU einige Dinge auf den Prüfstand stellen sollte.

Eurovision Song Contest 2023

Jurys oder nicht, das ist beim ESC seit Wiedereinführung ein jährliches Streitthema. Das in diesem Jahr besonders hochkochte, weil der große Publikumsfavorit Käärijä gegen die hohe Jurywertung der späteren Siegerin Loreen nichts ausrichten konnte. Die Existenz der Jurys hat allerdings gute Gründe, einer davon, der singende Trash-Truthahn Dustin (Irland 2008), war im Halbfinale sogar persönlich anwesend. Solche reinen Quatschauftritte sollen eingebremst werden, was grundsätzlich richtig ist.

In diesem Jahr kam es aber zu der seltsamen Situation, dass in den Halbfinals nur durch Televoting entschieden wurde, im Finale aber wie gewohnt durch eine Mischung aus Televoting und Jury. Zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen im selben Wettbewerb sind wirklich schwer zu verstehen. Und bringen Seltsamkeiten wie das Ergebnis von Alika aus Estland hervor, die ihr Halbfinale als 10. nur knapp überstand, im Finale dann allerdings 8. (und damit zweitbeste aus ihrem Halbfinale) wurde. Einheitlichkeit wäre hier also das Zauberwort für die kommenden Jahre, auf welche Art auch immer.

Juryauftritte und Backing Tracks zugänglich machen!

Ein Ärgernis seit Jahren ist zudem, dass in der Finalshow die Jurystimmen ausgiebig zelebriert werden. Grundlage für dieses Voting ist allerdings die Probenshow am Abend vor dem großen Finale. Die TV-Zuschauer*innen bekommen also Wertungen für Auftritte vorgesetzt, die sie nicht gesehen haben und auch gar nicht sehen können. Das bleibt den Menschen, die beim Juryfinale in der Halle sind, sowie den akkreditierten Medien vorbehalten. Die European Broadcasting Union (EBU) sollte die entsprechenden Performances im Nachhinein für alle zugänglich machen, damit die Jurypunkte transparenter nachvollzogen werden können.

Stichwort Transparenz: Die wäre auch bei der Musik wünschenswert. Genauer gesagt beim musikalischen Backing Track, den die Künstler*innen verwenden. Seit 2021 ist es möglich, auf diesen auch Vocals zu packen, sodass nicht mehr alle Gesangsstimmen beim Eurovision Song Contest live sind. Acts wie Andrew Lambrou aus Zypern oder Blanka aus Polen machten sich das in diesem Jahr deutlich hörbar zunutze, auch wenn ESC-Chef Martin Österdahl in der Pressekonferenz unter der Woche einmal mehr betonte, dass es sich natürlich nur um Backing Vocals handele und die Hauptstimme weiterhin live gesungen werde.

Die Begründung von 2021, als die Regel eingeführt wurde, um die Delegationen während der Corona-Pandemie zu verkleinern, ist allerdings längst überholt. „Ja, wir haben es beibehalten und wir denken, dass es bisher gut funktioniert hat“, sagte Österdahl. „Wir reviewen alle Regeln jährlich. Ich bin mir noch nicht sicher, was wir zukünftig machen werden.“ Sollte es beibehalten werden, kann es hier nur eine Lösung geben: Die Backing Tracks aller Länder sollten veröffentlicht werden, damit das Publikum nachvollziehen kann, welche Acts sich wie sehr selbst stimmlich nachhelfen.

Fragwürdiger Umgang mit der Presse

Und dann wäre da noch ein weiteres großes Ärgernis beim Eurovision Song Contest 2023, den die BBC so stark für die Ukraine ausgetragen hat: Der Umgang mit der Presse. Erstmals waren die Einzelproben für die akkreditierten Medien nicht mehr zugänglich, erst die Durchlaufproben der kompletten Shows waren im Online-Pressezentrum und vor Ort zu sehen. Die Begründung, die Acts in dieser frühen Phase schützen zu wollen, wirkt auf den ersten Blick sogar einleuchtend. Der weitere Umgang der EBU macht das jedoch komplett zunichte.

Denn Snippets von den ersten Proben aller Künstler*innen wurden beim Sponsor TikTok hochgeladen, von der zweiten Probe gab es Eindrücke auf Youtube. Hinzu kamen ein Liveblog auf der eigenen Homepage sowie zahlreiche Fotos. Von besagtem „Schützen“ der Acts kann da keine Rede mehr sein. Man strich zu allem Übel auch noch die offiziellen Pressekonferenzen, in denen sich bislang jede*r Künstler*in ausgiebig den Medien vor Ort und online vorstellen konnte, und ersetzte sie durch laue TikTok-Runden mit ausgewählten Fan-Fragen.

Österdahl setzte allerdings noch einen drauf, als er in Liverpool sagte, es habe in den vergangenen Jahren gerade zu Beginn der Proben viel „toxische Berichterstattung“ gegeben. Beispiele brachte der Schwede für diesen harten Vorwurf nicht. Das, was man als toxisch empfinden könnte, findet rund um den ESC gerne mal in den sozialen Medien statt – davon kann man in Deutschland (Achtung, Wortspiel!) ein Lied singen. Das allerdings akkreditierten Medien anzukreiden ist schlicht unsinnig und gefährlich.

Hier wäre dann auch mehr Einsatz von den teilnehmenden öffentlich-rechtlichen Sendern für die Journalist*innen, die die Begeisterung des Events nach außen tragen, aber eben auch Dinge kritisch hinterfragen, wünschenswert. Vernehmbar war in diesem Jahr nur ein Statement einiger Halbfinal-Länder, die sich traurig darüber zeigten, dass das Pressezentrum erst in der Finalwoche überhaupt öffnete – weil sie einen Nachteil durch fehlende Aufmerksamkeit witterten. Die EBU blieb hart und gab zur Begründung die „wirtschaftliche Nachhaltigkeit“ an. Auch hier blieb man die Angabe schuldig, wie viel Geld das Betreiben des Pressezentrums in der ersten Woche gekostet hätte. Wie gesagt: Manche Dinge rund um den Eurovision Song Contest sollten eindeutig transparenter gemacht werden.

Jury und Televoting: Ein Blick auf die Zahlen beim Eurovision Song Contest 2023

 

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Foto: Corinne Cumming / EBU

 

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