Der Klang von Trauer und Schmerz: Das Album „Little Rope“ von Sleater-Kinney ist von besonderen Umständen geprägt.
Ein Gastbeitrag von Berthold Voitl
Mitten in den Aufnahmen zum elften Studioalbum von Sleater-Kinney erfuhr Carrie Brownstein, dass ihre Mutter und ihr Stiefvater bei einem Autounfall in Italien ums Leben gekommen waren. Tucker und Brownstein beschlossen, im Studio zu bleiben und „Little Rope“ fertigzustellen. Diese Umstände prägen den Charakter des Albums, auch wenn einige Songs bereits geschrieben waren.
Getragen wird das Album von Corin Tuckers Stimme und Carrie Brownsteins Gitarrenspiel. Nicht umsonst sagte Carrie in einem Interview mit dem „Guardian“ im Dezember letzten Jahres, dass sie nach der schrecklichen Nachricht ihr Instrument nicht mehr aus der Hand gelegt habe. Es war für sie instinktiv der richtige Weg, mit der Trauer, dem Schmerz umzugehen. Der Sound auf „Little Rope“ profitiert davon. War der Vorgänger („Path Of Wellness“) weniger straff geraten und das vom St. Vincent produzierte Album „The Center Won‘t Hold“ teilweise recht experimentell, präsentiert sich das aktuelle Werk ausgesprochen kompakt.
Kein gemütliches Zurücklehnen
Die Klammer bilden „Hell“ und der finale Song „Untidy Creature“. Der Opener macht mit wenigen Textzeilen klar, dass sich die Verzweiflung ungefragt und unangekündigt ausbreitet: „Hell needs no invitation.“ Zurück bleibt der Einzelne, ratlos: „You ask why like there’s no tomorrow“ – die Zeile kehrt wie ein Refrain mehrmals wieder und wird von Corin Tucker mit unglaublicher Energie und ihrem typischen Heulbojen-Vibrato herausgeschrien.
Der Anfang ist gemacht. Die folgenden Songs bewegen sich musikalisch in ruhigerem Fahrwasser. „Say it like you mean it“ klingt für Sleater-Verhältnisse geradezu eingängig, melodisch. Doch im Hintergrund arbeitet eine bedrohlich wirkende Synthie-Klangfläche, die kein gemütliches Zurücklehnen zulässt. Tucker liefert dazu die passenden Zeilen: „My heart is raw/Too many losses/Have left me down/You have your story/Your hidden scars“.
„Hunt you down“ beginnt mit einem Gitarrenriff, das wie eine Warnung klingt. Der Refrain greift dies bereitwillig auf: „The thing you fear the most/Will hunt you down“. Ein Satz, den Carrie Brownstein bei einem Bestattungsunternehmer aufgeschnappt hat. Auch in „Don‘t Feel Right“ ist dieses Unbehagen spürbar, wenn Carrie – hier als Lead-Stimme – es so zusammenfasst: „But for now, I won’t go out/Got this ache, got my dark clouds/Just the dogs, I’m alone/I need time to move slow“.
Trauer findet einen würdigen Abschluss
An manchen Stellen von „Little Rope“ scheint das Düstere ein wenig in den Hintergrund zu treten. Im Song „Crusader“ flackert in der zentralen Strophe dank des Beats sogar kurz Disco-Feeling auf. Doch der Text konterkariert diesen Optimismus: „You’re never alone, we’re always with you now/The words, the beat, the sound“ muss man als Drohung verstehen.
Beim letzten Track findet dann die Auseinandersetzung mit der Trauer einen würdigen Abschluss. „Untidy Creature“ ist einer der Songs, von denen man meint sie längst zu kennen. Der vermutlich schon immer da war, nur einige Zeit verschüttet. Sleater-Kinney haben ihn wieder gefunden, ausgegraben und so für uns alle zugänglich gemacht. Schwerfällig stampfend rollt er an, unterstützt von einer sägenden Gitarre. Corin Tucker besingt eine Situation, in der man eingesperrt und ausgeliefert ist. Sie steigert sich wie in einem Jim-Steinman-Song über eine wuchtige Bridge, die mit „And it feels like we were broken“ anhebt und in „There is no going back tonight“ kulminiert, das wiederum in einer ruhigen Passage mit den Zeilen „I’ll find a way, I’ll pick your lock“ aufgelöst wird. Dieser Hoffnungsschimmer hat allerdings keinen Bestand. Corin setzt ein zweites Mal zu „And it feels like we were broken“ an. Diesmal endet es in Schreien und Wehklagen.
Albuminfos Sleater-Kinney – Little Rope
Künstlerinnen: Sleater-Kinney
Albumname: Little Rope
VÖ: 19.01.2024
Label: Loma Vista Recordings
sleater-kinney.com
Fotos: Chris Hornbecker und Promo