KOMMENTAR zum deutschen ESC-Ergebnis: Zeit für Neuerungen

Das deutsche Ergebnis beim Eurovision Song Contest 2021 geriet einmal mehr zum Debakel. Das bietet jedoch die Gelegenheit, in Zukunft neue Wege zu gehen.

Jendrik, Eurovision Song Contest 2021

Zugegeben: Das aktuelle Auswahlverfahren, bei dem der NDR die Entscheidung über den deutschen ESC-Act quasi auslagert, ist noch gar nicht so lange in Betrieb. Seit der Auswahl für den ESC 2020 bestimmen eine internationale Expertenjury und eine Jury aus 100 ESC-Fans den deutschen Act. Bei Ben Dolic war ihnen das scheinbar gut gelungen – einen endgültigen Beweis dafür gab es nie, da der ESC 2020 und damit auch sein Auftritt mit „Violent Thing“ der Corona-Pandemie zum Opfer fiel.

Als im Februar 2021 Jendrik als deutscher Starter präsentiert wurde, war die Verwunderung groß. Sein sympathisch-seichter Song „I Don’t Feel Hate“, der ganz offensichtlich polarisiert, sollte mit einem sehr eindeutigen Ergebnis von beiden Jurys gewählt worden sein? Die deutschen TV-Zuschauer*innen hatten nicht mitgewählt, aber plötzlich hatten sie ihren Vertreter. In das Verfahren nahm man die Zusehenden nur eingeschränkt mit, bis heute ist nicht klar, welche Acts es ebenfalls in die engere Auswahl geschafft hatten.

Und genau da sollte man ansetzen: In einer Befragung unter den Künstler*innen, die am Auswahlprozess teilgenommen hatten, kam laut Alexandra Wolfslast vom NDR raus, dass in etwa die Hälfte die Anonymität bevorzugen. Die anderen, unter ihnen übrigens auch Jendrik, hätten sich also mehr Öffentlichkeit schon im Auswahlprozess gewünscht. Es gibt demnach genügend Künstler*innen, ob bekannt oder unbekannt, die sich auch einem öffentlichen Verfahren oder gar einem Vorentscheid stellen würden.

Und zu diesem Vorentscheid sollte der NDR zurückkehren. Mehr noch: Er sollte ihn endlich etablieren, wie das Ländern wie Norwegen, Estland oder Schweden üblich ist. Es gibt den Zusehenden Einblick in die Auswahl und Mitbestimmungsrecht, eine oder gar mehrere schöne TV-Shows und den Künstler*innen die Möglichkeit, die Herzen des Publikums zu gewinnen. Es muss nur eben ein echter Musikwettbewerb sein und keine Promo-Veranstaltung von Plattenfirmen, die nach Aufmerksamkeit für ihre aktuellen Acts suchen.

Denn, auch das darf man nicht vergessen: Der bislang letzte deutsche Erfolg beim ESC, der vierte Platz vom bis dahin eher unbekannten Michael Schulte 2018, ist exakt so entstanden. Im Anschluss schmiss man in Deutschland nach dem schlechten Abschneiden der S!sters jedoch wieder alles um und bevorzugte eine interne Auswahl – ein Fehler, den man nun beheben und zurück zu einem Vorentscheid gehen sollte.

Eine Sache dürfen der NDR und der deutsche Act jedoch gerne beibehalten: Die Freude und die Offenheit, die sie rund um den Eurovision Song Contest 2021 in Rotterdam präsentiert haben. Jendrik war für jeden Spaß und jedes Interview zu haben, hatte ein starkes Social-Media-Game und gewann als Typ die Herzen vieler ESC-Fans – als Sänger jedoch leider nicht.

 

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Foto: EBU / Thomas Hanses

 

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