Ikke Hüftgold hat mit „Lied mit gutem Text“ das TikTok-Voting gewonnen und ist deshalb der neunte Act für den deutschen ESC-Vorentscheid „Unser Lied für Liverpool“. Wir haben uns mit ihm unterhalten.
Im Zoom-Interview mit bleistiftrocker.de spricht Matthias Distel alias Ikke Hüftgold unter anderem über die Entstehung von „Lied mit gutem Text“, seine Chancen bei „Unser Lied für Liverpool“ und sein Blackfacing-Video von vor zehn Jahren.
bleistiftrocker.de: Wie möchtest du in diesem Interview angesprochen werden, Ikke oder Matthias?
Matthias Distel / Ikke Hüftgold: Das kannst du dir aussuchen. Ich bin jetzt Matthias und mit Perücke bin ich auch ganz schnell mal der Ikke.
Wie unterscheiden sich die beiden denn?
Sie sind schon ziemlich unterschiedlich, was den Charakter angeht und auch die Ausdrucksweise. Und auch der Sinn für Humor, da haben wir beide eine andere Art, damit umzugehen.
Worum geht es in deinem Song „Lied mit gutem Text“?
Um die Einfachheit eines Liedes, das hoffentlich da draußen auch genau so verstanden wird. So einfach wie es ist mit dem „Lalala“.
Du singst unter anderem „Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Drogen, wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Sex“. Wer ist denn in diesem Fall mit „Wir“ gemeint?
Die Gesellschaft. Letztes Jahr gab es den riesigen Aufschrei mit „Layla“. Das ist praktisch eine ironische Antwort – auch darauf, wie der Partyschlager in Deutschland wahrgenommen wird. Aber natürlich ist es auch ein kleiner Zerriss der letzten ESC-Jahre: Wenn die großen Popnummern nicht funktionieren mit den großartigen Texten, ich überspitze das jetzt, dann muss es doch vielleicht ein Text sein, der durch seine Einfachheit besticht und durch seine Ironie. Ich glaube wir brauchen einfach mal wieder Humor. Und wir brauchen Mut, den hat der NDR ja auch bewiesen, indem er das Verfahren umgestellt und sehr unterschiedliche Musikrichtungen zugelassen hat. Schade ist einfach, dass da jetzt ein Act wie Ikke Hüftgold sitzt und in den Wettbewerb eingreift und dass es nicht die eigentlichen großen Acts in Deutschland sind – wie Rammstein, wie Apache, wie Helene Fischer, von mir aus auch Nena. Weil der ESC leider nicht mehr den besten Ruf genießt.
Warum ist der Ruf des ESC deiner Meinung nach schlecht?
Man hechelt seit Jahren der internationalen Popmusik hinterher. Man hat irgendwie bei den Entscheidern immer das Gefühl gehabt, man müsste sich so inszenieren, dass man „so klingt wie“. Aber man darf nie Deutsch klingen. Und das ist ein grundsätzlicher Fehler. Den machen viele andere Länder nicht, die bleiben ihrer Kultur und ihrer Musik treu. Klar, es wird viel Englisch gesungen, aber es gibt durchaus auch genug Beiträge, die in der Heimatsprache performt werden. Ich glaube wir brauchen uns für unsere Musikkultur nicht zu schämen. Der Partyschlager ist mitten in der Gesellschaft und wird so viel gehört wie kaum ein anderes Genre. Es gehört viel Mut dazu, einen Ikke Hüftgold nach Liverpool zu schicken, aber es kann ja eh nicht schlechter werden. Aber ich bin dabei, weil ich Bock auf den ESC habe, ich bin immer und ewig ESC-Fan gewesen. Manchmal mehr traurig als freudig erregt, aber ich bin damit groß geworden, meine Eltern waren immer vor dem Fernseher.
Wieso hat dich der ESC traurig gemacht?
Der ESC ist leider sehr politisch geworden, so habe ich es in den letzten Jahren empfunden. Es ist auch gar nicht mehr so einfach, selbst wenn du als Deutschland einen Riesenhit an den Start bringen würdest, dort relativ weit oben zu landen. Ich glaube Deutschland wird noch mal mit einem besonderen Auge betrachtet. Da ist viel Politik dabei. Man hat ja auch letztes Jahr die politische Entscheidung mit der Ukraine gesehen. Der Song wäre sicherlich nicht da gelandet, wo er gelandet ist. Und trotzdem fand ich es gut, dieses starke Zeichen zu setzen. Da gibt es ja viele, die anders denken.
„Lied mit gutem Text“ bezieht sich ja direkt auf den ESC, du hast es also für die ESC-Bühne geschrieben. Wie kam es dazu?
Ich hatte vor drei, vier, fünf Jahren schon mal eine Idee, für meine Zunft ein Lied zu schreiben: „Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Saufen.“ Mir ging damals auf den Keks, dass es in jedem Ballermann-Lied immer nur ums Saufen geht. Ich habe die Idee nie weitergesponnen, weil es eh nicht funktioniert hätte. Dann kam der ESC und ich dachte: Scheiße, da willst du doch mitmachen. Aber dann brauchst du eigentlich ein Lied ohne Saufen und alles andere, was da in der Regel so stattfindet. Und dann fiel mir der eine Satz wieder ein und dann habe ich mich direkt drangemacht und es relativ schnell geschrieben. Es war nicht die größte schöpferische Leistung, die ich in meinem Leben erbracht habe, aber es ging halt gut von der Hand, weil es trotzdem alles beinhaltet, was uns ausmacht. Ich habe den ESC auch noch mit reingepackt und eine klare Ansage gemacht: „Lalala“ ist international, also schickt mich nach Liverpool, dann sind zwölf Punkte garantiert. So großkotzig gehen wir da jetzt raus, aber natürlich mit einem sehr großen Grinsen und Augenzwinkern. Aber mit der Ernsthaftigkeit, dem ESC etwas Gutes zu tun und ihm nicht dadurch zu schaden.
Ist es ein Vorteil für dich, das TikTok-Voting gewonnen zu haben? Du hast dadurch immerhin bereits Bestätigung durch das Publikum bekommen.
Ich gehe als Underdog in diese Veranstaltung, weiß aber auch, dass ich eine Fanbase habe, die schon einmal für mich abgestimmt hat. Es ist ein gewisser Vorteil, schon mal in einer Abstimmung gewesen zu sein. Am Anfang hat es sich allerdings wie ein Nachteil angefühlt. Da hätte ich lieber einen der acht Plätze gehabt. Aber jetzt bin ich froh, dass ich dieses TikTok-Voting hinter mir habe, jetzt kann ich das für mich auch viel besser einschätzen. Ich habe viele Statements und Kommentare dazu bekommen, links und rechts, es gab ja keine Mitte, nur dagegen oder dafür. Das macht richtig Spaß. Ich habe mich am meisten über die vielen Zweifler und Nörgler gefreut, das heizt die Debatte weiter an.
Was glaubst du: Wie stehen deine Siegchancen bei „Unser Lied für Liverpool“?
Ich glaube, dass die Siegchancen genauso gut stehen wie bei jedem anderen auch. Ich glaube, dass ich die schlechtesten Karten bei der internationalen Jury habe. Obwohl ich mittlerweile im Ansatz weiß, wer dabei ist, da keimt schon wieder ein bisschen Hoffnung auf. Es sind auch Länder dabei, die die deutsche Sprache verstehen. Aber es ist Lotterie. Mir gar keine Chancen geben würde ich jetzt auch nicht.
Als du das TikTok-Voting gewonnen hast, sind einige Leute auf ein Blackfacing-Video von dir aufmerksam geworden und haben dich dafür kritisiert. Das Video ist inzwischen nicht mehr auffindbar. Was ist damit passiert?
Wir haben es runtergenommen. Das ist eine leidige Diskussion, die ich auch gar nicht mehr führen will. Wir haben vor zehn Jahren ein Satire-Stück auf den Markt gebracht, da gab es das Wort „Blackfacing“ in meiner Welt noch gar nicht. Aber ich kann es gerne noch mal erklären: Ich habe eine Satire-Nummer gemacht, die hieß „Oh bongiorno, wir drehn nen Porno“. Und da hab ich die Italiener, die Franzosen, die Afrikaner, die Chinesen, die Deutschen – ich habe im Prinzip mich selbst und alle aufs Korn genommen und mit den Klischees gespielt, die es auf der Welt so gibt. Und ich habe diese Figuren auch alle verkörpert. Das fanden wir damals alle witzig. Ich würde so ein Video heute nicht mehr drehen, weil es einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Es war damals ein stückweit drüber. Aber ich war immer als Figur ein stückweit drüber. Aber ich bin natürlich auch kein Rassist, meine besten Freunde sehen so aus, wie ich mich damals bemalt habe. Ich bin ganz dicke mit Gerald Asamoah befreundet, mit Anthony Modeste. Ich habe privat ganz viele Freunde aus anderen Kulturkreisen. Von daher lasse ich mir diesen Schuh auch nicht anziehen.
Aber verstehst du die Aufregung, die es um das Video gab? Oder hast du es nur gelöscht, um deine Ruhe zu haben?
Nein, ich verstehe die Aufregung zu hunderttausend Prozent. Ich habe auch die Aufregung um „Layla“ verstanden. Wir müssen über solche Themen diskutieren. Wir leben in einer Demokratie, in einer liberalen Gesellschaft. Da ist Meinung wichtig, da ist auch Meinungsäußerung wichtig. Und da muss ich mir auch gefallen lassen, dass man mich kritisiert. Und dann muss ich auch die Eier haben, wenn ich vielleicht überpaced habe, dann auch zu sagen: Okay, es war ein Schritt zu weit. Ich muss mich für das Video nicht entschuldigen. Wenn ich das heute online stellen würde, würde ich mich morgen dafür entschuldigen. Aber nicht vor zehn Jahren. Damals habe ich nicht einmal einen Spruch bekommen. Das Video hatte zwei Millionen Aufrufe, da war nicht einmal das Wort „Blackfacing“ oder „Rassismus“ oder sonstwas. Es war Satire.
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Foto: NDR / Marc Bremer