INTERVIEW: Art Brut

Mit ihrem Album „Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out!“ haben Art Brut im vergangenen Jahr ein furioses Comeback gefeiert. Wir haben sie auf Tour getroffen.

Art Brut

Im Interview mit bleistiftrocker.de spricht Bandkopf Eddie Argos unter anderem über seinen Umzug nach Berlin, seine lebensgefährliche Krankheit und darüber, dass ihm eine Berliner Band beim Deutschlernen hilft.

 

bleistiftrocker.de: Wir führen das Interview auf Englisch, aber du würdest mich wahrscheinlich auch auf Deutsch verstehen. Woher kannst du so gut Deutsch?

Eddie Argos: Ich bin seit acht Jahren in Deutschland und lebe in Berlin. Und jetzt bin ich ein bisschen nervös wegen des Brexit. Ich versuche, einen deutschen Pass zu bekommen und habe deshalb kurz vor Weihnachten angefangen, einen Deutschkurs zu besuchen, um besser Deutsch zu sprechen.

Wie kam es zu deinem Umzug nach Berlin?

Ich mag Deutschland sehr gerne, wir waren hier häufig auf Tour. Ich war mit meinen Freunden von The Robocop Kraus in Nürnberg und habe überlegt, dorthin zu ziehen. Meine deutschen Freunde haben mir davon allerdings abgeraten und mir Hamburg oder Berlin vorgeschlagen. Dann habe ich eine Münze geworfen und es wurde Berlin. Ich hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben. Aber es ist erschwinglich, hier zu leben. Und inzwischen habe ich einen kleinen Sohn, er ist fünf Jahre alt und deutsch. Ich bin hier also für immer, denke ich.

Auf dem aktuellen Album sind sehr viele Berlin-Referenzen. War das Absicht?

Alle meine Texte sind wie ein Tagebuch. Wir hatten zwischenzeitlich mal einen anderen Drummer auf der Bühne dabei, der mich fragte: „Was ist das? Eddie Argos, das Musical?“ und ich sagte: „Ja!“. Denn genau das ist es. Ich lebe in Berlin, es wäre also seltsam, nicht darüber zu schreiben. Das ist das Leben, das ich lebe.

Du hast also gar keine künstlerische Distanz in deinen Songs?

Nein. Ich weiß, das macht Menschen nervös. (lacht) Eigentlich ist alles wahr, was ich singe.

Ist es nicht manchmal komisch, sein Innerstes so sehr nach außen zu kehren?

Es war zu Beginn schon komisch. Auf dem ersten Album gibt es einen Song über erektile Dysfunktion. Und sobald du einmal auf der Bühne über sowas gesungen hast, ist alles andere okay. (lacht) Auch „Emily Kane“ ist ein sehr persönlicher Song. Es ist ein anderes Gefühl, wenn du über eine wahre Geschichte singst.

Der Song „Emily Kane“ ist nun auch schon 15 Jahre alt. Wie ist es für dich, über diese alte Geschichte zu singen?

Als ich es zum ersten Mal gesungen habe damals, hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihr und dachte: Vielleicht sollte sie es hören, vielleicht könnten wir wieder miteinander ausgehen oder so. Inzwischen ist sie verheiratet und hat zwei Kinder. Aber damals war ein bisschen Hoffnung im Song, das war ein etwas anderes Gefühl. Danach war es einfach nett, denn ich habe sie wiedergefunden durch den Song – die Kraft des Rock’n’Roll. Der Song hat sie zurück in mein Leben gebracht, wir sind jetzt auf Facebook befreundet.

Wie habt ihr euch wiedergefunden?

Wir mussten sie kontaktieren, denn mein Manager rief mich an und fragte: „Eddie, ist das ihr echter Name? Dann sollten wir ihr Bescheid sagen, bevor der Song überall im Radio läuft.“ Und sie kam dann sogar zu einer Show. Wir haben in London gespielt, da waren Emily Kane und mein kleiner Bruder auf der Gästeliste und auf der Setlist. Jetzt ist es so ein alter Song, aber es ist sehr schön, dass ich das Gefühl von damals so eingefangen habe. Einfach ein Teenager-Moment in einem Song.

„Hospital“ ist ein zentrales Stück auf dem aktuellen Album und erzählt deine Krankengeschichte mit einer lebensgefährlichen Bauchfellentzündung. Hast du es geschrieben, als du noch im Krankenhaus warst?

Den Text habe ich tatsächlich im Krankenhaus geschrieben. Das war der schlimmste Monat meines Lebens. Und deshalb: Ich trinke gesunde Sachen, werde Teil der Straight-Edge-Szene und gehe nie wieder hierher zurück. Das war mein Mantra im Krankenhaus. Eigentlich sollte es gar kein Song werden, sondern einfach etwas, was ich mir immer wieder selbst gesagt habe. Dann kam Ian und wollte Songs mit mir schreiben – und das war alles, was ich hatte. Und es wurde dann sogar auf Radio 4 in England gespielt. Es ist toll zu sehen, wie weit ich es geschafft habe – vom Krankenbett aus, in dem ich fast gestorben wäre.

Wie hast du dich denn als Person verändert? Hast du die Versprechen einhalten können, die du dir selbst gegeben hast?

Ich lebe ein bisschen gesünder. Ich habe mit dem Rauchen aufgehört. Und ich bin vorsichtig. Denn der Beginn meiner Krankheit hat sich wie eine Grippe angefühlt. Und das hatte ich dann etwa neun Monate lang, bevor ich zum Arzt gegangen bin, der mich sofort ins Krankenhaus geschickt hat. Ich werde nun also immer nervös, wenn ich ein bisschen krank werde. Ich bin fast paranoid. Weil mein Deutsch so schlecht ist, war mir zunächst gar nicht klar, wie schlimm es um mich stand. Meine Freundin hat mir dann erklärt: „Der Arzt hat gesagt, dass er dir das Leben gerettet hat.“

Du hast den bevorstehenden Brexit bereits angesprochen. Was glaubst du, wie er euch als Band treffen wird?

Die Hälfte der Band lebt in Deutschland, die andere in England. Der Brexit macht mich wirklich sauer. Aber es wird nicht passieren, ich klopfe auf Holz. Eigentlich hätte der erste Tag unserer UK-Tour auch der erste Brexit-Tag sein sollen nach dem ursprünglichen Plan. Das wäre ein Albtraum gewesen.

Hast du denn mal darüber nachgedacht, politische Songs zu schreiben?

Die Leute fragen mich immer wieder, ob ich nicht über den Brexit schreiben möchte. Ich könnte das aus meiner persönlichen Perspektive machen, wie nervös es mich macht. Ich bin ein politischer Mensch, aber in meinen Songs spielt es keine allzu große Rolle.

Euer neues Album trägt den Titel „Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out“, schon in der Vergangenheit gab es ähnliche Namen. Hat das eine besondere Bedeutung?

Ich mag das einfach, unser erstes Album heißt „Bang Bang Rock’n’Roll“ und ich dachte an Weezer, die ein blaues Album, ein grünes Album und so weiter haben, wir könnten das ähnlich machen. Ein „Bang Bang“-Album, ein „Wham! Bang!“-Album und in fünf Jahren vielleicht ein „Biff! Pow!“-Album. (lacht) Alle paar Alben machen wir das mal.

Im vergangenen Jahr beim Suede-Konzert in Berlin sah man dich in der Menge. Was hat dich dorthin verschlagen?

Ein Freund von mir hat in einer der Support-Bands gespielt. Und ich liebe natürlich Suede und wollte sie mir sowieso anschauen. Sie waren brillant, fand ich. Ich habe sie früher oft gesehen, als ich noch ein Teenager war, und sie sind heute sogar besser. Damals war das alles so seriös und ohne jeden Spaß, inzwischen haben sie einen guten Mittelweg gefunden. Die Songs sind immer noch seriös, aber Brett Anderson sieht aus, als würde er alles mehr genießen als früher und das macht auch beim Zuschauen mehr Spaß.

Welche Musik hörst du denn aktuell gerne?

Die irische Band Fontaines D.C., zum Beispiel. Und Idles liebe ich. Die deutsche Band Gurr finde ich auch toll, wir haben einen wunderbaren Weihnachtssong zusammen gemacht.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du die Berliner Band Element Of Crime sehr gerne magst. Was ist deine Verbindung?

Ja, ich wäre gerne mit ihnen befreundet. Wir haben auf unserem Album einen Song über die Warschauer Straße und in einer ihrer letzten Singles ging es auch um Berlin. Ich habe sie bei einem Konzert gesehen, das war großartig. Und sie sind sehr beliebt. Ich habe die Pixies kurz darauf gesehen und Element Of Crime waren viel größer.

Verstehst du denn, was sie singen?

Sie haben ja auch englische Alben, die mag ich sehr gerne. Von den deutschen Sachen verstehe ich einige Teile und es spornt mich noch mehr an, Deutsch zu lernen. Ich mag einfach den „German Blues“. Und auch das Buch „Herr Lehmann“ ist wunderbar.

In unserem Fragebogen wollen wir immer wissen, welche drei Songs Künstler auf ein Mixtape packen würden. Welche sind deine?

„Roadrunner“ von Jonathan Richmann. Vielleicht dreimal. (lacht) Ich liebe Bob Dylan sehr. Vielleicht „Simple Twist Of Fate“ von ihm? Langweilige Auswahl, aber ich mag es sehr. (überlegt sehr lange) Und „Did Your Heart Go Boom“ von Helen Love.

Was steht bei Art Brut in der nächsten Zeit an?

Nach dem vorletzten Album habe ich angekündigt, alle sechs Monate eine EP zu machen und jedes Jahr ein Album. Und dann war unsere Pause sieben Jahre lang. Hoffentlich gibt es im nächsten Frühjahr ein neues Album. Wir schreiben schon neue Songs.

 

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Review „Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out!“ auf bleistiftrocker.de

Foto: Promo

 

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