John Cale – Mercy (Review)

Im März dieses Jahres wird John Cale seinen 81. Geburtstag begehen. Kurz davor hat er nach einer fast zehnjährigen Pause wieder ein Album veröffentlicht.

John Cale

Ein Gastbeitrag von Berthold Voitl

Was lieg also näher zu vermuten, dass der walisische Bratschist, Velvet-Underground-Mitbegründer und legendäre Produzent (The Stooges, Nick Drake, Patti Smith) mit „Mercy“ ein unaufgeregtes, möglicherweise souveränes und vielleicht leicht eskapistisches Alterswerk geschaffen hat? Doch weit gefehlt.

Inspiration von jungen Künstlern

Cale will immer noch neue Sounds finden, Klangstrukturen austesten und sehen, was möglich ist. Dafür arbeitet er auf „Mercy“ mit jüngeren Kollegen und Kolleginnen aus der Indie- oder Elektro-Szene zusammen. Das produziert spannende Resultate. Bei „Story Of Blood“ bemerkt man nicht nur, dass Natalie Mering ihre Vocals beisteuert, sondern den Song mitgeprägt hat. Ähnlich wie bei ihrem Projekt Weyes Blood wird der Hörer in den Song hineingezogen. Der Song, obgleich er diese Zugwirkung hat, bewegt sich selbst kaum von der Stelle.

Das Intro von „Time Stands Still“ plus der Stimme von Amelia Meath lässt die Referenz zum Sound vom Duo Sylvan Esso erkennen, bevor John Cale den Song weitgehend übernimmt. Laut Liner Notes fügt Laurel Halo Synthie-Effects und ihre Stimme dem Titelstück hinzu. Das mag stimmen, ist aber kaum wahrnehmbar. „Everlasting Days“ hingegen misslingt komplett. Man wird auch beim wiederholten Hören den Eindruck nicht los, dass sich die Sound-Tüftler von Animal Collective und der Altmeister am Piano nicht einigen konnten, wohin die Reise gehen soll. Das Ergebnis ist daher auch nur uninspiriertes Gerumpel.

Vertraute Klänge erinnern an die 80er

Im Interview mit „The New Yorker“ erwähnte John Cale unlängst, dass er bei diesem Album nicht mit Piano oder Bratsche komponiert hätte, sondern Rhythmus-Pattern benutzt habe, um die Songs zu erschaffen. Das ist spürbar. Synthie-Flächen dominieren bei fast allen Tracks. Und auch der rege Einsatz von Streichern kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Melodien meist weniger Raum gelassen wurde.

Der ein oder andere Song erinnert stilistisch an Stücke, die auch auf „Music For A New Society“ oder „Artificial Intelligence“ (beide aus den 80ern) hätten landen können. So findet der Hörer bei „Moonstruck“ (der verstorbenen Weggefährtin Nico gewidmet), „Noise of You“ oder bei „Nightcrawling“ ein wenig Halt im unwirtlichen Soundmeer.

Mit 71 Minuten ist „Mercy“ eindeutig zu lang geraten. Auch geduldigen Fans des Walisers werden vermutlich nach 45 oder 50 Minuten eine Pause benötigen oder einfach die letzten Stücke wegdrücken. Das wäre allerdings schade, denn mit „Out Your Window“ hat John Cale zum Schluss noch ein Kleinod versteckt. Der Song ist eindringlich und verstörend zugleich. Er reicht zwar nicht an „Antarctica Starts Here“ (dem Schlusstrack von „Paris 1919“) heran, aber John Cale ist ja auch keine 30 mehr.

 

Albuminfos John Cale – Mercy

John Cale - MercyKünstler: John Cale
Albumname: Mercy
VÖ: 20.01.2023
Label: Domino Recording
john-cale.com

 

Fotos: Madeline McManus und Promo

 

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