INTERVIEW: Sivert Höyem

Schon während seiner Zeit mit Madrugada war Sivert Höyem ein Workaholic. Mit der vor allem in ihrer Heimat Norwegen so erfolgreichen Band brachte er in den letzten zehn Jahren insgesamt fünf Studioalben heraus. Als im Sommer 2007 Gitarrist Robert Buras plötzlich starb, stellten Sivert Höyem und Bandkollege Frode Jacobsen das letzte Album dennoch fertig und gingen noch einmal auf Tour, bevor sie das Kapitel Madrugada für beendet erklärten.

Für Sivert Höyem war das jedoch kein Grund, sich auf die faule Haut zu legen. Bereits im September 2009 veröffentlichte er mit „Moon Landing“ sein mittlerweile drittes Soloalbum nach „Ladies And Gentleman Of The Opposition“ (2004) und „Exiles“ (2006) in Norwegen. Nach einer ausgedehnten Tour durch seine Heimat folgte der großgewachsene Sänger der Einladung von Bela B., für diesen das Konzert in der Berliner Columbiahalle zu supporten. Für Sivert Höyem eine Rückkehr an alte Wirkungsstätte, denn während der Aufnahmen zum Madrugada-Album „Grit“ hatte der 33-Jährige bereits einige Zeit in der deutschen Hauptstadt gelebt.

Vor dem Konzert trafen wir ihn zum Interview.

Sivert Höyem Interview

Frage: Wie fühlt es sich an, zurück in Berlin zu sein – ohne Madrugada?

Sivert Höyem: Ich bin ein bisschen müde, wir mussten sehr früh aufstehen und ich hatte gestern eine Schweinegrippe-Impfung, nach der ich mich komisch gefühlt habe. Ich habe nicht sehr gut geschlafen, vielleicht eine Stunde. Aber abgesehen davon fühlt es sich gut an, hier zu sein und alle sind sehr freundlich zu uns. Ich habe gehört, dass es heute Abend ein Teenie-Publikum sein wird, wir müssen also sehr aufregend sein.

Du hast dein neues Soloalbum „Moon Lading“ im Gepäck. Erzähl‘ mir von der neuen Platte.

Das neue Album ist etwas anders als das, was ich zuvor als Solokünstler gemacht habe. Ein kleiner Teil von Madrugada lebt in dem weiter, was ich gerade mache. Der Teil von Madrugada, der mein Beitrag war. Und es unterscheidet sich von den vorigen Alben insofern, dass es mehr nach einer Rockband klingt.

Und es gab eine spezielle Aufnahme-Session, stimmts?

Ja, wir haben es in den Bergen in Norwegen in zwei verschiedenen Sessions aufgenommen. Ich wollte einfach raus aus der Stadt an einen abgelegenen Platz, um den „Inner Space“ zu erkunden und zu sehen, wie wir als Band zusammenarbeiten. Bei der ersten Session waren wir nur zu dritt, Cato, Börge und ich. Wir waren der Kern der Band. Dann haben wir für die letzte Session einen Bassisten dazugeholt. Er betreibt auch ein Studio in Göteborg und hat das ganze Equipment für die Aufnahmen mitgebracht. Wir haben einige Sachen in seinem Studio in Göteborg aufgenommen und dann noch eine Woche in Oslo gearbeitet. Das Album wurde dann von John Agnello in New York gemischt.

Du hast bislang drei Soloalben aufgenommen, jeweils mit verschiedenen Musikern. Sind deine jetzigen Mitstreiter denn die perfekte Band für dich?

Es ist sehr nah dran. Ich arbeite sehr gerne mit Cato und Börge. Unsere Arbeits-Beziehung ist sehr fruchtbar, bereichernd und natürlich. Es funktioniert einfach. Sie sind mir und der Musik sehr verpflichtet. Ich fühle mich nicht wie ein Solokünstler, wenn ich auf der Bühne bin, denn jeder tritt nach vorn und übernimmt Verantwortung. Es ist eine sehr, sehr gute Band.

Madrugada haben ihr letztes Konzert im November 2008 gespielt. Wann genau habt ihr euch entschieden, die Band aufzulösen?

Es war ja nicht wirklich meine Entscheidung. Robert ist 2007 gestorben und danach hat es für mich nie Sinn gemacht, weiterzumachen.

Aber ihr seid 2008 trotzdem noch mal auf große Tour gegangen.

Die Tour haben wir halt einfach gemacht. Das war keine schwierige Entscheidung, aber es war eine sehr chaotische Zeit. Nachdem wir den ersten Teil der Tour beendet hatten, war es Zeit, etwas Neues zu machen. Für mich war es unmöglich, mich von dem Bewusstsein zu befreien, dass wir jemand sehr Wichtigen verloren hatten. Und es wäre sinnlos gewesen zu sagen, dass es nach wie vor dieselbe Band war, denn das war sie nicht mehr.

Du spielst aber nach wie vor einige Madrugada-Songs bei deinen Auftritten, oder?

Ich habe auf dieser Tour zwei Songs gespielt. Ich wollte einige Madrugada-Songs weiterhin spielen, die ich geschrieben habe und von denen ich denke, dass sie mir gehören. Deshalb habe ich einige von ihnen im Programm. Aber andererseits ist es wichtig, dass das nun etwas Neues und nichts Nostalgisches ist. Heute Abend wird es größtenteils Musik vom neuen Album geben.

Was ist denn der Unterschied zwischen deinen Solosachen und Madrugada? Kannst du ihn beschreiben?

Die Art und Weise, wie die Musik präsentiert wird, ist natürlich anders, schon alleine weil ich sie mit anderen Leuten mache. Ich glaube, dass zumindest der Sound des Albums etwas frischer ist. Simpler, frischer und nicht so düster. Es kommuniziert ein bisschen direkter. Aber das Songschreiben an sich ist nicht sehr viel anders.

Wie schreibst du einen Song, mit der Band oder alleine?

Größtenteils alleine. Allerdings arrangieren wir die Songs zu dritt. Aber die Basissongs schreibe ich alleine an meiner Gitarre. Die Melodien kommen ganz einfach und dann benötige ich viel Zeit, um den Text zu schreiben. Er muss nicht besonders tiefsinnig sein, er muss nur wahr sein. Und nicht kompliziert.

Ist der Text dir denn am wichtigsten?

Der Text ist wichtig für mich, aber es muss einfach eine Einheit sein. Der Text muss zur Musik passen und eine Wahrheit ausdrücken. Aber ich brauche deshalb so viel Zeit, um einen Text zu schreiben, weil es für mich der schwerste Teil ist. Ich sage nicht, dass meine Texte fantastisch sind, ich sage nur, dass ich dafür viel Zeit brauche. Was vielleicht heißt, dass ich blöd bin, wer weiß. Es ist einfach der Teil, an dem ich wirklich arbeiten muss, um ihn richtig hinzukriegen. Ich wollte zu Beginn auch kein Songschreiber sein, das einzige was ich konnte war Singen. Am Ende habe ich dann die Texte geschrieben, weil ich sie auch gesungen habe und weil mein Englisch besser war als das der anderen in der Band. Ich habe mir dann meinen Weg gesucht, Texte zu schreiben. Und nun genieße ich es sogar.

Was ist denn das Beste daran, ein Musiker zu sein: das Songschreiben, die Aufnahmen oder das Touren?

Es ist einfach die ganze Sache, die Vielfältigkeit. Beim Schreiben hat man den kreativen Prozess und den persönlichen Triumph, den man dadurch auf einem sehr persönlichen Level erfährt. Dann gibt es die Proben, da hat man den Teamgeist beim gemeinsamen Arbeiten, ist zusammen mit Leuten, trinkt Bier und genießt es, in einer Gang zu sein. Die Aufnahmen sind vielleicht der härteste Teil, denn es ist eine echte Herausforderung, es richtig hinzukriegen und das Gefühl zu bekommen, dass es am Ende deinen Erwartungen gerecht wird. Denn man hat so viele Pläne für ein Album, wenn man damit startet, und es gibt so viele Möglichkeiten. Und es ist immer noch ein bisschen mysteriös, was dann am Ende dabei herauskommt. Es ist eine wirkliche Herausforderung. Und dann ist es fantastisch, auf Tour zu gehen und live zu spielen.

Und was ist der nervigste Teil?

Das Nervigste sind all diese Arten von Interviews. Ich habe viel Pressearbeit in Norwegen gemacht. Man muss alles immer wiederholen und dann fangen die Leute an, dich zu kennen. In Norwegen lastet der Druck auf mir, berühmt zu sein. Damit fühle ich mich nicht wohl. Es macht mich paranoid.

Derzeit läuft im Internet eine Umfrage, in der man über die besten Songs von norwegischen Künstlern der letzten zehn Jahre abstimmen kann. Welchen deiner Songs würdest du wählen?

Ich würde mich wahrscheinlich für „Majesty“ entscheiden. Er ist sehr besonders für mich und hat das gewisse Etwas. Er bringt die Leute zum Weinen und sie können sich darin wiederfinden, denn die meisten haben sich selbst schon mal so gefühlt. Der Song ist sehr elementar und schlicht. Ich bin einfach sehr stolz darauf, ihn geschrieben zu haben. Und auch „The Kids Are On High Street“ mag ich sehr. Es hat eine großartige Melodie, ist aber insgesamt nicht so universal wie „Majesty“. Viele verschiedene Leute haben mir erzählt, wie gerne sie „Majesty“ mögen. Ich habe gehört, dass Robbie Williams es mag, das ist ziemlich gut.

Hat er das zu dir gesagt?

Er hat es auf einem Konzert in Norwegen gesagt, glaube ich. Viele Leute haben mich angerufen und mir davon erzählt.

Du hast eine Liste mit Alben aufgestellt, die du am meisten magst, und sie sind alle aus Amerika. Stimmt das?

Ja, aber das waren nur die aus den letzten zehn Jahren. Eines ist kanadisch und ich habe noch ein schwedisches hinzugefügt.

Denkst du denn, dass es der Musik in Europa an Qualität fehlt?

Ich mag britische Musik einfach nicht allzu gerne. All diese Sachen wie „The Horrors“, das ist einfach stromlinienförmige Fashion-Kids-Musik, während diese amerikanischen Bands mehr Tiefe haben. Einige dieser Bands haben diese klassischen Referenzen und auch Referenzen zu traditioneller amerikanischer Countrymusik. Und sie bringen diesen psychedelischen Charakter mit in die Zukunft. Vieles in der britischen Musik ist einfach Fashion-Musik. Das mag fantastisch sein, aber es spricht mich nicht an. Sowas wie Pete Doherty. Ich verstehe einfach nicht, worum es bei ihm geht.

Kennst du denn Musik von ihm?

Ich habe ein bisschen was davon gehört. Ich kann das Genie darin nicht wirklich erkennen. Ich glaube, es ist einfach nicht für mich gemacht. Aber ich weiß, dass die Mädchen auf ihn abfahren.

Du hast mit Cato Salsa ein Nebenprojekt namens „The Hyler Twins“. Worum geht es dabei?

Es geht nicht wirklich um etwas. Der Name war ein Witz, den wir uns ausgedacht haben, als wir auf der letzten Tour viel getrunken hatten. Ich wurde dann gebeten, einen Saint Thomas-Tributsong zu machen, als wir gemeinsam unterwegs waren. Also habe ich Cato gebeten, den Song aufzunehmen, und so haben wir das gemeinsam getan und uns „The Hyler Twins“ genannt. Das ist das Einzige, was wir gemacht haben. Aber wir haben darüber gesprochen, ein Album aufzunehmen, über ein Wochenende oder so.

Wieso hast du dich dazu entschlossen, auf Facebook mit deinen Fans zu kommunizieren?

Es ist richtig einfach, deshalb. Und es läuft bislang sehr gut. Ich meine, auf Facebook erreicht man vor allem Hausfrauen. Das ist gut, denn dieses Publikum möchte man ja auch ansprechen (lacht). Und ich hatte einige Probleme mit MySpace, sie blocken mich. Ich darf meine Musik nicht hochladen, weil es jemand anderes bereits vor mir getan hat. Und jetzt behaupten sie, die Musik würde nicht mir gehören, was sie aber natürlich tut. Es ist einfach sehr komisch. Es ist das, was die großen Plattenfirmen auf MySpace tun: die Rechte auf Sachen beanspruchen. Man muss beweisen, dass man diese Rechte besitzt und ich weiß nicht, wie das funktioniert.

Also ist Facebook eher eine Notlösung für deine Promotion?

Ja, ich wäre wirklich lieber auf MySpace. Wenn ich das mal zum Laufen gebracht habe, werde ich dort auch anzutreffen sein. Aber ich werde dem ganzen Internet-Business langsam überdrüssig. Ich rede davon, online zu sein und sich dort zu promoten. Als ich als Musiker angefangen habe, war das Internet noch kein Teil des großen Ganzen. Aber nun scheint es so, als seien die Leute ziemlich schamlos, wenn es darum geht, sich selbst darzustellen. Es ist also sowas wie eine neue Realität. Aber ich denke, man muss es tun, denn die anderen Medien zerbröckeln allmählich und es ist einfach dieser große, offene Medienkanal, auf dem man alles kommunizieren kann, was man möchte. Einige von diesen jungen Bands sind einfach clevere Marketingleute und verstehen gut, wen sie erreichen wollen und wie sie das schaffen. Ich habe das nie für ein besonders cooles Marketing gehalten. Aber ich denke, dass es in Zukunft so laufen wird.

Könntest du dir vorstellen, politische Statements in deinen Songs oder auf der Bühne abzugeben?

Ich bin kein sehr politischer Mensch. Und wenn man sowas in Norwegen macht, bekommt man Probleme. Denn dort kann man nicht wirklich etwas über Politik sagen, wenn man nicht gerade einen bestimmten akademischen Grad hat oder tatsächlich ein Politiker ist. Und ich bin nicht wirklich interessiert daran, etwas zu sagen. Ich sage nur etwas zur Ölindustrie in Nord-Norwegen, weil das direkt die Küste betrifft, von der ich stamme.

Wie kommt es, dass du heute mit Bela B. in Berlin spielst?

Sein Management hat uns eine E-Mail geschickt und mich eingeladen, ihn auf seiner Tour zu supporten. Das hätte ich sehr gerne gemacht, aber dann war ich in Norwegen auf Tour und es war sehr wichtig für mich, um das neue Album zu promoten.

Er wollte dich also auf der kompletten Tour dabeihaben?

Ja, auf der kompletten Tour. Oder zumindest bei einigen Shows, ich erinnere mich nicht mehr genau, denn die Anfrage kam im Frühling, glaube ich. Dann habe ich mich entschieden, nur diese eine Show zu spielen. Es ist der letzte Abend der Tour und es ist seine Heimatstadt, also ich denke, dass es gut wird.

Vielen Dank für das Interview, Sivert, und viel Spaß auf der Bühne heute Abend.

Fotos vom Auftritt von Sivert Höyem in Berlin:

(Im Original erschienen bei triggerfish.de am 15. Dezember 2009.)