In wenigen Tagen erscheint „Morgens um vier“, das neue Album von Element Of Crime. Wir haben uns mit Jakob Ilja darüber unterhalten.
Jakob Ilja, Gitarrist von Element Of Crime, spricht im Interview mit bleistiftrocker.de unter anderem über die Entstehung der Songs, die Auswahl von Singles und Albumtitel sowie Konzerte vor Strandkörben.
bleistiftrocker.de: „Morgens um vier“ ist euer 15. Studio-Album. Ist es immer noch so aufregend wie am Anfang, ein neues Album zu veröffentlichen?
Jakob Ilja: Es ist natürlich immer noch aufregend. Eine Platte zu machen ist eine privilegierte und wirklich schöne Sache. Man kann die Jugendjahre mit dem Alter schwerlich vergleichen, weil es komplett unterschiedliche Phasen im Leben sind, wo man mit komplett anderen Erwartungshaltungen in so eine Produktion reingeht. Bei den ersten Platten hat sich das erst im Rückblick erfüllt. Als ich sie gehört habe, habe ich gemerkt, dass es super Platten geworden sind. Damals wollte man zu viel und war auch nicht immer einer Meinung. Heute ist es auf eine Art einfacher, vor allem, weil die Band einen ganz eigenen Stil gefunden hat. Aus einem Marmorblock einen Song heraushauen – das ist immer noch eine tolle Sache. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wo es herkommt. Da entsteht Stück für Stück ein Lied, was vorher nicht vorhanden war. Es gibt keine rationale Erklärung dafür, es passiert einfach. Und das ist immer noch ein bezaubernder und berauschender Moment.
Ist es bei euch immer noch so, dass zuerst die Musik entsteht und dann erst der Text dazukommt?
Ja. Ich denke, dass das im Rock’n’Roll total sinnvoll ist, denn es ist ja keine vertonte Poesie. Es geht um Musik – und auch Text ist Musik, es muss ja klingen. Sven singt in Fantasiesprache mit und irgendwann hat er eine Textzeile oder zwei, drei Begriffe. Und dann ist das Stück an einem Moment, in dem er sich einen Text überlegt und nur noch herausfinden muss, was für eine Geschichte in diesem Lied versteckt ist. Und ich denke, dass die meisten Bands es so machen.
Ihr habt erstmals in neuer Konstellation aufgenommen, mit Markus Runzheimer am Bass. Wie hat sich die Statik innerhalb der Band geändert?
Da verändert sich bei einer Band wie Element Of Crime nicht so viel, wenn man 36 Jahre zusammen Musik macht und ein neuer Bassist kommt. Also Markus Runzheimer hat sicher etwas Eigenes hinzugefügt, aber es ist jetzt nicht so, dass es die Produktionsweise oder die Stilistik so stark verändert.
Sucht ihr eigentlich die Vorab-Singles aus oder macht das die Plattenfirma?
Wir überlassen es gerne der Plattenfirma, weil die dann auch die Verantwortung dafür übernimmt. Der Verkauf von Platten ist ja ein Geschäft, Und wie das zu führen ist, da wissen Plattenfirmen schon, was sie wollen. Insofern ist es ganz gut, wenn sie die Singles aussuchen.
War denn der Albumtitel eure Entscheidung?
Ja. Bei den meisten Platten ist es so, dass wir bei den Liedern, die drauf sind, nach einem Titel suchen, der für die Platte selbst steht. Man hat sonst oft das Problem, dass es sowas wie ein Konzeptalbum wird. Wir hatten ja ein paar Platten wie „Psycho“ oder „Romantik“, da ist es plötzlich ein bisschen so, als ob die Lieder in Geiselhaft genommen werden für einen Oberbegriff. Deswegen ist es uns lieber, dass wir einen Titel finden, der die Stimmung der Platte trifft.
Und was steckt hinter dem Titel „Morgens um vier“?
„Morgens um vier“ nähert man sich ja auf zwei Arten: Wenn man jünger ist, indem man durchmacht und es auf einmal morgens um vier ist – blaue Stunde, dieser Moment zwischen Tag und Nacht. Oder, wenn man älter ist, dass man nachts um vier aufwacht, einen Haufen Gedanken hat und nicht mehr einschlafen kann. Von welcher Seite man sich auch nähert: Beides sind Momente, die Schwelle von dem einen in das andere. Man ist noch nicht ganz raus aus der Nacht, man ist aber auch noch nicht ganz im Tag. Das können sehr schöne Momente sein, weil alles so indifferent und offen ist. Es kann aber auch ein Moment sein, der verwirrend und diffus ist. Es kommt immer drauf an, in welchem Zustand man ist und von welcher Seite man sich nähert. Und das trifft die Themen, über die Sven singt, ganz gut. Immer so eine Gratwanderung zwischen Reellem, Irrealem und trotzdem mit direkten Bezügen zu dem, was es heißt, Mensch zu sein.
Sven hat mal gesagt, dass er Musikvideos nicht mag. Trotzdem macht ihr immer wieder tapfer welche, in den neuesten gibt es euch bei einer WG-Party und bei einem Bar-Abend zu sehen. Wie geht ihr an solche Videos ran?
Wir versuchen, Musikvideos so zu machen, dass sie den wenigstmöglichen Zusammenhang mit dem Lied haben. Und das geht ganz einfach, indem man auf Handlung verzichtet und nicht das abbildet, was im Lied ist. Es kann trotzdem dazu kommen, dass Menschen Bezüge sehen. Zum Beispiel bei „Unscharf mit Katze“, da denkt man vielleicht an den Lockdown und dass jetzt wieder alle zusammensitzen und paffen und trinken. Die Wahrheit ist aber, dass unsere Managerin Charlotte Goltermann die Idee für das Video hatte und immer mal eins machen wollte, in dem wie in den Sechzigern oder Siebzigern die Leute bei den Partys in den Zimmern saßen, Rotwein tranken und qualmten wie verrückt. Das hielt sie für ein tolles Bild und ich finde, dass es auch ein tolles Video geworden ist.
Ihr habt während der Corona-Zeit auch Konzerte gespielt, beispielsweise vor Menschen in Strandkörben. Wie habt ihr das innerhalb der Band besprochen, ob ihr sowas überhaupt machen wollt?
Für uns war klar, dass wir diese ganzen Konzerte, die es nachzuholen gab, machen würden. So ein Strandkorb-Konzert mag nicht die Idealform eines Konzerts sein – es ist schon ein bisschen skurril, wenn man auf eine zehn Meter hohe Bühne geht und längs auf ein Stadion guckt, in dem 500 Strandkörbe in großem Abstand zueinander stehen. Aber wir haben festgestellt, dass es uns Spaß macht und wir haben auch festgestellt, dass das Publikum das gut fand. Auch wenn es nicht ideal war, war es trotzdem eine schöne Sache.
Sucht ihr euch eure Vorbands immer selbst aus? Mit Isolation Berlin besteht ja offenbar bis heute Kontakt, denn deren Sänger Tobias Bamborschke ist auch auf einem Stück von „Morgens um vier“ zu hören.
Im Großen und Ganzen suchen wir das aus. Ab und zu gibt es auch Konzerte, wo der Veranstalter jemanden vorschlägt. Aber wir entscheiden schon, wer vor uns spielt. Und Isolation Berlin ist eine Band, der wir uns schon seit dem Erscheinen der ersten Platte sehr verbunden fühlen. Wir finden sie großartig und auf eine Art erinnert sie uns auch an uns selbst in den Achtzigern. So gab es von Charlotte den Vorschlag, ob Tobias nicht bei einem Lied mitsingen sollte. Und das war eine gute Entscheidung.
Wie stellt ihr denn aus eurem großen Repertoire eine Setlist für ein Konzert zusammen?
Es ist schon seit ein paar Jahren so, dass Sven die Liste zusammenstellt. Die Herausforderung ist, dass wir zehn neue Lieder haben, vielleicht noch fünf oder sechs, die gespielt werden müssen, weil sie so beliebt sind. Das sind dann schon 16 Lieder, es bleiben also noch ungefähr acht. Bei 140 bis 160 Stücken inklusive Coverversionen ist das tatsächlich die Qual der Wahl und ein bisschen Tetris. Es muss ja auch dramaturgisch passen, dass über zwei Stunden auch eine Art von Bewegung da ist. Es kann mal passieren, dass man merkt, dass sich das ein oder andere Stück nicht ganz so einfügt und dann tauscht man es noch mal aus. Aber je länger wir Platten machen, desto mehr Stücke stehen zur Auswahl, das ist nicht einfach. Und ich weiß, dass es im Publikum auch unterschiedliche Vorlieben gibt. Es wird immer jemand da sein, der ein bestimmtes Stück vermisst, weil es nicht gespielt wurde.
Gibt es irgendwas, was ihr nicht mehr spielen wollen würdet?
Das große Glück ist, dass es wir aus jeder Epoche, von jeder Platte Stücke spielen können und wollen. „Moonlight“ von der ersten Platte packen wir immer mal wieder ins Programm. Es gibt vielleicht ein paar Stücke, die wir nicht mehr spielen, aber die waren auch damals schon nicht so wahnsinnig gut. Die hat man aufgenommen, hat dann gemerkt, dass es kein so tolles Stück ist, es ein oder zwei Mal auf Tour gespielt und dann sind sie rausgeflogen. Das kann passieren, das liegt in der Natur der Sache.
Inzwischen gibt es eure neuen Songs ganz selbstverständlich auch bei den Streaming-Anbietern. Das war lange nicht so. Was hat sich für euch geändert?
Die Konditionen waren früher nicht gut und sind jetzt besser. Streaming selbst ist ja kein Problem. Im Laufe von Jahrzehnten haben sich die Formen, wie wir Musik konsumieren, immer wieder verändert. Die Herausforderung besteht in einer gerechten Entlohnung. Und wir haben dem am Anfang nicht zugestimmt, weil wir die Konditionen nicht gut fanden. Jetzt machen wir es, weil sie besser sind und weil es wenig Sinn hat, sich gegen den Strom es zu stellen. Es ist da, wo es hingeht. Die Verkaufszahlen vor allem für CDs gehen rapide runter. Download ist auch kaum noch existent. Es existiert fast nur noch Streaming.
Eure Art, Lieder zu machen, ändert das aber nicht, oder?
Nein. Wir sind eine Album-Band. Wir hatten ja auch nie Single-Hits. Wir hatten immer ein Interesse daran, ein Album zu machen. Wir kommen aus dieser Zeit, wir sind so sozialisiert. Und das ist für uns passend und gut. Deswegen macht es für uns gar keinen Sinn, Einzelstücke an ein Medium anzupassen, damit es dann dort entsprechend gehört wird. Ich kann natürlich nicht für die Zukunft sprechen und man weiß auch nicht, wie es weitergeht – ob in fünf Jahren überhaupt noch Platten hergestellt werden. Aber wir lieben Alben. Selbst die Reihenfolge auf der CD ist wie zwei LP-Seiten. Es ist alles im Sinne einer LP angeordnet.
Im Opener „Unscharf mit Katze“ wird die Frage „Wo soll das enden?“ gestellt. Können die Zuhörenden im Verlauf des Albums eine Antwort darauf erwarten?
Nein. Die können wir nicht geben, dafür sind wir nicht da. Wir sind Künstler. Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen, wo es hingeht oder wie man die Sachen zu machen hat. Das ist eher die Aufgabe von Politikern.
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Foto: Charlotte Goltermann
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