Bei den Proben zum Eurovision Song Contest 2022 haben inzwischen alle Acts mindestens einmal auf der Bühne gestanden. Wir berichten vom sechsten Tag in Turin.
Jetzt ist auch der deutsche Sänger Malik Harris endgültig in Turin angekommen: Am Donnerstag gab es für ihn die erste Einzelprobe. Während die Presse bei ihm sowie den Künstler*innen aus Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien dieses Mal noch nicht per Livestream zuschauen durfte, gab es die Übertragungen von zehn weiteren Halbfinal-Acts im (digitalen) Pressezentrum.
Hier sind unsere Beobachtungen vom sechsten Tag beim Eurovision Song Contest 2022.
Systur (Island)
Wie schon am Mittwoch hakte es auch am Donnerstag noch mit der Übertragung des ersten Acts des Tages. Der letzte von vermutlich drei Takes war dann aber doch noch zu sehen. Systur verzichten in Turin auf allzu große Überraschungen und halten sich an das Grundgerüst ihres Auftritts beim isländischen Vorentscheid.
Die drei Schwestern stehen leicht versetzt nebeneinander und singen dreistimmig, während sie ihre Instrumente spielen. Einen kleinen Choreo-Kniff, bei dem sich alle nach hinten in die Kamera drehen, kann man im Refrain bestaunen. Dazu kommt ein Split-Screen, der alle drei in der Halbtotalen nebeneinander zeigt. Auch ist der kleine Wasserfall vor der Bühne häufiger Teil des Bildes, das dann von unten aufgezogen wird. Passend zum Song „Med Haekkandi Sol“ leuchten immer wieder goldene Lichter.
Subwoolfer (Norwegen)
Subwoolfer ziehen ihre Show gnadenlos durch: Die beiden Sänger sind in den bekannten gelben Wolfsmasken zu sehen, auch die drei Background-Tänzer*innen sind nicht zu identifizieren – ebenso wie DJ Astronaut, der in Turin über den anderen fünf steht und die ganze Performance mit einheizenden Gesten begleitet.
Es gibt die übliche Choreografie, die Subwoolfer schon seit einigen Monaten auf Bühnen und den sozialen Medien präsentieren. Der Gesang wird vom Band unterstützt, was auch in diesem Jahr wieder möglich ist, aber auch live sind die beiden, die sich Keith und Jim nennen, gut bei Stimme und klingen trotz der vielen Bewegung nicht außer Atem. Ab und zu werden Screens mit Aufschriften eingeblendet, die ein bisschen an Star Wars erinnern. Aber alles in allem ist die Performance einfach erwartbar unterhaltsam.
Rosa Linn (Armenien)
Das gleich vorweg: Das Staging von Rosa Linn hatte auf den Fotos der ersten Probe durchaus das Potenzial zu einem Flop. Auch in bewegten Bildern ist es zunächst gewöhnungsbedürftig, wenn sie in einem komplett mit weißen Zetteln vollgeklebten Zimmer umherläuft – zumal die weiße Gitarre ganz zu Beginn sehr an Nicole 1982 erinnert.
Rosa Linn holt einige Zettel von der Wand und darunter tauchen Worte aus ihrem Song sowie ein Herz auf, ihr Gesang dazu ist sehr stark. Was den Auftritt besonders macht ist ein Twist kurz vor Schluss: Die Sängerin reißt einen Teil der Wand ein und singt durch das Loch in Richtung Hallenpublikum, das sie erst in diesem Moment überhaupt zu sehen bekommen wird.
The Rasmus (Finnland)
Was sich The Rasmus für die Bühne des Eurovision Song Contest 2022 ausgedacht haben? Nun wissen wir Bescheid! Noch nicht ganz klar ist, ob sich Sänger Lauri für die Anfangsszene, in der er intensiv in die Kamera schaut und dabei einen Luftballon hält, von „Es“ von Stephen King hat inspirieren lassen. Aber auch danach, wenn die Band mit einsteigt, spielen viele schwarze und gelbe Ballons im Bühnenbild eine Rolle.
Sie sorgen sogar für ein chaotisches Element, denn in der Probe gelang es den Kameraleuten nicht immer, die Bandmitglieder zwischen diesen Hindernissen 100% korrekt einzufangen. Dafür fällt selbst bei einem Playback-Auftritt auf, dass die Energie der neuen Gitarristin Emppu der Band sichtbar guttut. Und für den noch etwas müde klingenden Gesang hatte Lauri eine Erklärung: „Normalerweise stehe ich 12 Stunden später auf der Bühne“ – The Rasmus hatten ihre Probe nämlich gegen 11.30 Uhr begonnen.
Michael Ben David (Israel)
Michael Ben David inszeniert sich nicht nur in den Pressekonferenzen als Dancing-Queen – er ist auch eine! Er zeigt sich während der Performance zu seinem Empowerment-Song „I.M“ selbstbewusst und herrlich überdreht.
Mit dabei sind auch vier Tänzer, in deren Choreografie sich Michael Ben David einreiht – in einem weißen Outfit, das ein bisschen nach Fecht-Wettkampf aussieht. Insgesamt wirkt der Israeli wie ein Kreuzung aus Alexander Lemtov und Sergey Lazarev, was durch und durch liebevoll gemeint ist.
Konstrakta (Serbien)
Keine Experimente: Konstrakta ist wenig überraschend bei ihrem verschrobenen Auftritt aus dem Vorentscheid geblieben. Sie wäscht sich die Hände, philosophiert dabei über Meghan Markle und Gesundheitsprodukte. Assistiert bekommt sie von fünf Mitstreier*innen, die mal ihre Hände abwaschen und mal als Chor einsteigen.
Bemerkenswert sind aber zwei Dinge. Zum einen färbt das Licht auf der Bühne Konstrakta zwischenzeitlich rot. Und zum anderen sind immer wieder einzelne Zeilen des komplett in Serbisch gehaltenen Songs als englische Untertitel auf dem Screen zu lesen – leider auch in der Optik billiger Untertitel, sodass man sich einen Moment lang ernsthaft fragt, ob man diese nicht aus Versehen eingestellt hat. Vermutlich möchte die Künstlerin aber nur sichergehen, dass ihre Message europaweit verstanden wird.
Nadir Rustamli (Aserbaidschan)
Die Tribünen-Performance von Nadir Rustamli aus Aserbaidschan ist tatsächlich so interessant, wie die Fotos aus der ersten Probe uns haben glauben lassen. Der Sänger hat einen Tänzer mit sich auf der Bühne, der ebenfalls auf den Stufen steht, tanzt und liegt – teilweise synchron mit Nadir Rustamli, den das nicht davon abhält, starken Gesang abzuliefern. Zwischendurch gibt es zwei mal einen Split-Screen, bei dem im oberen Teil ein besonderer Fokus auf die Augen des 22-Jährigen gelegt wird.
Wenn im Song „Fade To Black“ der Beat einsetzt, teilt sich die Tribüne in zwei Elemente, auf denen sich dann Sänger und Tänzer gegenüberstehen. Da hat sich jemand zumindest Gedanken gemacht – ob das alles komplett beim TV-Publikum ankommen wird, steht auf einem anderen Blatt.
Circus Mircus (Georgien)
Die nächsten Paradiesvögel des diesjährigen Wettbewerbs: Circus Mircus reihen sich irgendwo zwischen Zdob Si Zdub und Subwoolfer ein. Die vier Musiker sind alle mehr oder weniger maskiert, es gibt grelle Farben. Die Figur mit Halskrause, die die Band kurz nach ihrer Auswahl für Georgien per Internet-Video angekündigt hatte, ist auf den Leinwänden am Bühnenrand zu sehen.
Insgesamt ist der Auftritt schräg und wirkt etwas ziellos, was ja durchaus zum Song „Lock Me In“ passt. Ein nettes kleines Gimmick haben sich Circus Mircus allerdings ausgedacht: An einer Stelle wird der Leierkasten, den ein Bandmitglied als Playback spielt, geöffnet und darin erscheinen vier kleine Figuren auf einer Bühne, die die Band selbst darstellen sollen. Auf dieses Feature angesprochen tat die Gruppe in der anschließenden Pressekonferenz übrigens unwissend und geheimnisvoll.
Emma Muscat (Malta)
Dass bei ESC-Auftritten mal ein Klavier brennt, soll durchaus schon vorgekommen sein. Bei Emma Muscat spielt das Instrument ebenfalls eine große Rolle, denn die Sängerin spielt es kurz, performt aber anschließend auf dem Piano stehend weiter – warum auch immer.
Irgendwann geht es für sie den langen Catwalk entlang zu ihren vier Tänzer*innen auf dem vorderen Teil der Bühne, dazu wird das Publikum animiert. Das Gospel-Feeling, das „I Am What I Am“ hat, wird im Auftritt nicht aufgenommen, der Chor kommt wie aus dem Nichts vom Band. Auch der Bodennebel ist besonders zu Beginn etwas seltsam, schließlich steht Emma Muscat auf einem Klavier, das wiederum auf einem eigenen Podest steht.
Achille Lauro (San Marino)
Einen sehr exzentrischen Auftritt gibt es von Achille Lauro zu sehen. Der Italiener, der für San Marino startet, beginnt die Performance hinter einen roten Wand, läuft dann aber recht schnell zu seiner Band, von der zwei Mitglieder in großen Käfigen stehen. Der Sänger selbst trägt eine Federboa, die er während des Songs abstreift.
Zudem gibt es anzügliche Bewegungen mit dem Gitarristen und schließlich ganz viel Pyro. Fast zu viel, denn man erkennt am Schluss kaum noch, dass Achille Lauro tatsächlich auf einem roten Kirmes-Bullen reitet. Dem er übrigens, das verriet er in der Pressekonferenz, den Namen „Roberta“ gegeben hat.
Alvan & Ahez (Frankreich)
Später am Tag durften dann auch die Big Five erstmals auf die Bühne, dieses Mal wieder ohne die neugierigen Augen der Presse. Den Anfang machten Alvan & Ahez aus Frankreich. Der Sänger und seine drei Kolleginnen stehen gemeinsam mit einer Tänzerin auf der Bühne, die Fotos zeigen viel Feuer und Grün als vorherrschende Farbe.
Der Track „Fulenn“ ist auf Bretonisch, was Alvan vor eine besondere Aufgabe stellte. „Ich habe den Song phonetisch gelernt. Ich spreche kein Bretonisch“, verriet er im Anschluss in der Presserunde.
Mahmood & Blanco (Italien)
Wo „Mahmood & Blanco“ draufsteht, war zumindest am Donnerstag noch nicht „Mahmood & Blanco“ drin: Denn Blanco fehlte entschuldigt, er wird wegen Konzert-Verpflichtungen erst in einigen Tagen nach Turin kommen können. Dementsprechend absolvierte Mahmood die erste Runde mit einem Double.
Allzu viel wird man aus der ersten Probe also noch nicht ablesen können – nicht mal das Outfit, denn wie Mahmood später verriet, hatte er noch nicht den finalen Dress an. Auf seinen ersten ESC-Auftritt mit „Soldi“ in Tel Aviv ist er heute noch stolz. „Durch 2019 konnte ich meine Musik in ganz Europa bekannt machen.“
Sam Ryder (Großbritannien)
Nach dem misslungenen Staging von James Newman im vergangenen Jahr war die Spannung groß, bevor Sam Ryder erstmals auf der Bühne in Turin zu sehen war. Die Bilder legen nahe, dass es bei ihm deutlich besser aussieht – mit einer Metall-Konstruktion, einem schicken Einteiler und wehenden Haaren könnte er sich tatsächlich zu einem Kandidaten für eine vordere Platzierung beim Eurovision Song Contest 2022 aufschwingen.
Und Sam Ryder gab im Anschluss passenderweise zu Protokoll, die Einstellung seiner Landsleute zum ESC ändern zu wollen. Für ihn selbst ist alles bereits jetzt ein großes Abenteuer. „Ich kann gar nicht aufhören zu strahlen, seit ich hier bin.“
Chanel (Spanien)
Wir haben eine Tanzperformance erwartet und wir werden eine Tanzperformance bekommen! Chanel stand bei ihrer Probe mit drei Tänzern und zwei Tänzerinnen auf der Bühne, alle zeigen durchaus viel Haut. Die Choreografie dürfte an jene angelehnt sein, die der Sängerin zum Sieg beim spanischen Benidorm Fest verholfen hatte.
Über ihren Auftritt wollte Chanel der versammelten Presse später nicht allzu viel verraten. Dafür gab sie einen Einblick in ihre Gefühlslage: „Es war sehr gut, wir sind sehr glücklich. Ein paar Kleinigkeiten werden wir noch ändern, denn wir können uns immer verbessern.“
Malik Harris (Deutschland)
Wie transportiert Malik Harris den Auftritt mit „Rockstars“ von der vergleichsweise kleinen Bühne beim deutschen Vorentscheid auf die riesige Eurovision-Stage? Indem er einige Instrumente mitbringt! Um ihn herum ist eine Art Bandsetting (oder Tonstudio?) aufgebaut.
In Bewegung ist er auch, mit Mikrofon in der Hand und Gitarre auf dem Rücken – den Rap-Part dürfte es also wieder in eine Steady-Cam geben. Auffällig außerdem, dass Malik auf den Proben-Fotos mal im weißen und mal schwarzen Shirt zu sehen war.
„Ich bin zufrieden. Wir hatten einige Probleme mit der Kamera, haben sie aber schnell gelöst“, berichtete er danach der Presse. „Normalerweise sind alle sehr gestresst, aber hier sind alle sehr relaxt.“
Am Freitag werden die restlichen Acts aus dem zweiten Halbfinale ihre zweite Einzelprobe absolvieren – und die akkreditierten Medien können dann wieder zuschauen. Mit dabei sind Sheldon Riley (Australien), Andromache (Zypern), Brooke (Irland), Andrea (Nordmazedonien), Stefan (Estland), WRS (Rumänien), Ochman (Polen), Vladana (Montenegro), Jérémie Makiese (Belgien), Cornelia Jakobs (Schweden) und We Are Domi (Tschechien).
Am Samstag stehen dann die Big Five, also Alvan & Ahez, Mahmood & Blanco, Sam Ryder, Chanel und Malik Harris, zum zweiten Mal auf der Bühne und schließen die Runde der zweiten Einzelproben ab. Am Sonntag finden keine Proben in der Halle statt, sondern nur die Eröffnungsfeier in der Stadt. Ab Montag geht es dann in die Proben der kompletten Shows.
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Fotos: EBU / Andres Putting