INTERVIEW: Thomas Dybdahl

Der norwegische Sänger Thomas Dybdahl spielt regelmäßig Konzerte in Deutschland. Auch mit seinem neuen Album „The Great Plains“ ist er unterwegs. Wir haben ihn vor seinem Auftritt in Düsseldorf im Mai 2017 getroffen und mit ihm unter anderem über seine Heimat, Nervosität vor Konzerten und seine Zukunftspläne gesprochen.

Thomas Dybdahl

Hier gibt es das Video zum Interview mit Thomas Dybdahl.

bleistiftrocker.de: Im Pressetext heißt es über dich „Er sieht besser aus als Nick Drake, lebt gesünder als Jeff Buckley und ist jünger als Damien Rice“…

Thomas Dybdahl: Das ist ja furchtbar. Wer hat das denn geschrieben? Und bin ich wirklich jünger als Damien Rice?

Wie würdest du dich denn selbst beschreiben?

Auf jeden Fall nicht so… Was du siehst ist das, was du bekommst, denke ich. Ich bin eine ziemlich ruhige und gelassene Person. Ich habe mein Album „The Great Plains“ genannt, als Spiegelbild dessen, wie ich die Dinge mag. Ich mag einen großen Horizont, ich möchte alles sehen, was passiert. Ich komme von der norwegischen Westküste und war schon immer nah am Ozean und es gewohnt, viel Raum zu haben.

Deinem Album „The Great Plains“ wurde mehrfach attestiert, sehr positiv zu sein. Ungewöhnlich für einen Singer/Songwriter, oder?

Ja, vielleicht. Wir sind ein trauriger Haufen. Das Album ist sehr reflektierend. Ich gehe auf die 40 zu, da fängt man an, eine Ahnung von der Midlife-Crisis zu bekommen. Die Krise besteht vermutlich darin, dass man so weit zurückschauen kann, wie man eventuell auch noch nach vorne schauen kann. Du bist irgendwo in der Mitte. Und was es so beängstigend macht: Du schaust 25 Jahre zurück und es ist, als ob es gestern war. Die Zeit verfliegt und Menschen bekommen manchmal ein bisschen Panik, wenn sie darüber und über die nächsten 25 Jahre nachdenken. Aber das Album dreht sich viel darum, einfach zurückzuschauen, auch auf meine Kindheit und Erziehung und herauszufinden, welche Menschen und Erlebnisse mich zu der Person gemacht haben, die ich bin. Ich versuche nicht, mich zu finden. Eher herauszufinden, warum ich so bin.

Wie schreibst du deine Songs?

Normalerweise habe ich zuerst die Melodie. Das fällt mir leicht. Mit den Texten tue ich mich immer schwer, dafür brauche ich ewig. Es dauert lange, bis ich sie fertig habe. Es ist deutlich schwerer für mich, nicht so intuitiv. Die Musik kommt also sehr schnell, während die Lyrics lange brauchen. Ich fange meistens mit der Musik an und tauche dann in den Text ein.

Ist es schwieriger, einen fröhlichen Song zu schreiben oder einen traurigen?

Ich bin eine melancholische Person, für mich ist es also einfacher, etwas zu schreiben, das ein bisschen Melancholie beinhaltet. Das ist mein natürlicher Ton und mein natürlicher Weg, mit Melodien zu arbeiten. Aber melancholisch bedeutet nicht gleich traurig. Ich versuche, mich auf gute Dinge zu fokussieren. Oder, wenn ich über eine Liebesgeschichte schreibe, die es mal gab, lege ich die Betonung gerne darauf, dass es sie überhaupt gegeben hat. Und nicht nur darauf, dass sie vorbei ist. Ich glaube nicht, dass ich ein fürchterlich depressiver Songschreiber bin.

Du hast bereits angesprochen, dass du von der norwegischen Westküste kommst. Beeinflusst deine Heimat deine Musik?

Sie tut es auf jeden Fall, ich bin mir aber nicht sicher, auf welche Art. An der Westküste in Norwegen ist es eine lange Zeit im Jahr sehr grau, viel Regen, viel Wind. Das macht etwas mit Menschen. Im Winter haben wir alle ein bisschen den Blues. Das bedeutet aber auch, dass wir uns sehr freuen, wenn der Frühling kommt. Man verbringt sehr viel Zeit drinnen, vielleicht haben wir dadurch auch eine andere Beziehung zu unseren Häusern. Wir verschwenden viel Zeit und Geld darauf, dass wir uns dort wohlfühlen, wo wir leben. Aber es ist auch draußen sehr schön und wild, viel unberührte Natur. Das ist für manche Menschen sicherlich sehr exotisch.

Wir haben erzählt bekommen, dass du dich auf deiner ersten Deutschland-Tour vor vielen Jahren auf der Bühne regelrecht unter einem Kapuzenpulli versteckt hast, weil du so schüchtern warst. Stimmt das?

Kann sein. Ich habe vielleicht einen Hoodie getragen. Aber ich glaube nicht, dass ich so schüchtern war. Nicht, dass ich wüsste.

Vielleicht kam es auch nur so rüber.

Das ist wahr. Ich habe mich vielleicht gefühlt, als sei ich an der Spitze der Welt, sah auf der Bühne dabei aber wie ein ängstliches Kind aus. Aber das ist besser geworden.

Bist du denn noch immer nervös, bevor du auf die Bühne gehst?

Ja, ich bin normalerweise nervös.

Machst du etwas Spezielles dagegen?

Nein. Einfach nur vorher genügend proben. Dann bin ich automatisch weniger nervös. Zu Beginn einer Tour ist es immer sehr nervenaufreibend. Proben ist die eine Sache, eine Show spielen die andere. Man kann bis zu einem bestimmten Punkt proben, aber nach den ersten Shows kommt man dann rein und dann ist alles gut. Aber ja, ich bin immer noch vor jeder Show nervös.

Heute spielst du eine akustische Solo-Show. Ist das ein großer Unterschied zu einem Konzert mit Band?

Ja. Es gibt Pro und Contra für beides, aber solo versuche ich zu nutzen, dass man den Menschen viel näher kommen kann. Es ist intimer, man kann sich mehr mit den Leuten unterhalten – über das, was du tust und deine Songs. Es ist relaxter. So muss es auch sein. Ich kann nicht auf die Bühne gehen und dort mit einem versteinerten Gesicht eine Stunde lang stehen. Mit einer Band ist es einfacher, weil man eine andere Dynamik mit den Zuhörern hat. Solo kann man mehr versauen. Mit einer Band bräuchte es schon viel, dass sechs Typen den gleichen Fehler machen. Alleine kann ich versuchen, reibungslos darüber hinwegzukommen und es zu einem Teil der Show zu machen. Das ist mit einer Band unmöglich.

Was ist das größte Konzert, das du jemals gespielt hast?

Die meisten Zuschauer, vor denen ich jemals gespielt habe, waren bei einem Gig für Nelson Mandela und seine Charity-Organisation. Ich glaube das waren fast 20.000 Menschen. Das war verrückt. Und dann spielst du Festivals mit 10.000 oder 5000 Leuten und große Clubshows mit mehreren Tausend. Und dann machen wir sowas hier mit hundert Leuten.

Spielst du denn lieber Clubshows, zu denen die Menschen wegen dir kommen, oder auf Festivals, wo das eher nicht so ist?

Da habe ich nicht wirklich eine Vorliebe. Jeder Auftritt ist ohnehin anders. Ich könnte sagen, dass ich Clubshows lieber mag, weil es intimer ist. Aber das klappt ja auch nicht immer. Und manchmal kommt man zu einem großen Festival und dann passiert diese komische Sache und man hat eine wunderbare Chemie mit dem Publikum. Ich kann es also nicht wirklich sagen, es ist jeder Abend anders. Und wenn ich denke, dass ich es herausgefunden habe, kommt eine neue Erfahrung dazu.

Du warst einst Teil der norwegischen Supergroup The National Bank. Sind ähnliche Projekte oder Kooperationen aktuell in Planung?

Nein. Neben meiner eigenen Musik und dem Touren schreibe ich hauptsächlich Filmmusik. Aktuell macht ein Freund von mir einen Film namens „Now It’s Dark“, das müsste der vierte sein, den wir zusammen machen. Damit verbringe ich die meiste Zeit neben meinen eigenen Sachen.

Magst du es, dich über Social Media zu promoten?

Ich empfinde die sozialen Medien manchmal als deprimierend. Es ist die einsamste Sache der Welt. Man interagiert mit so vielen Leuten, aber es fühlt sich trotzdem sehr einsam an. Ich habe eine ambivalente Beziehung dazu. Denn jeder schreit immer nach Inhalten – Songs, Akustik-Versionen, Bilder, Snippets. Es fühlt sich fast so an, als würde man Müll ins Meer werfen. Manchmal fällt es mir schwer, weil es sich so anfühlt, als würde man einfach nur Mist dazupacken. Dinge ohne Wert, die nichts damit zu tun haben, was ich eigentlich mache. Ich mache Alben, für die ich verdammt lange brauche, um sie zu produzieren, zu arrangieren und zu mixen. Und dann will jeder, dass man davon eine Akustik-Version macht. Dabei habe ich das Album doch so gemacht, wie es wollte. Wenn ich ein Akustik-Album hätte haben wollen, hätte ich ein Akustik-Album gemacht. Habe ich aber nicht, ich habe dieses hier gemacht. Das ist der grantige alte Mann in mir. Mein junges, hippes Ich findet es erfrischend, mit den Menschen in Kontakt sein zu können. Zwischen diesen beiden Menschen bewege ich mich, fast wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Manchmal genieße ich es, manchmal ist es einfach nur unglaublich deprimierend.

Als Künstler kann man heutzutage aber natürlich auch nicht ohne.

Natürlich nicht. Aber wer weiß, in zehn Jahren gibt es vielleicht etwas anderes und die Menschen sind froh, dass es nicht jeden Tag Bilder vom Frühstück gibt.

Was sind deine Zukunftspläne?

Ich fange bereits in einem Monat an, mein neues Album zu machen. Natürlich auch weiterhin Filmmusik. Und Touren werde ich sowieso immer. Wenn man das eine lange Zeit gemacht hat, ist man eh hinüber. Wenn man es nicht macht, wird man wirklich unruhig. Trotz meiner Beschwerden ist das einfach ein Teil von mir und ich muss es von Zeit zu Zeit machen. Sonst würde ich einfach verrückt werden.

 

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