In wenigen Tagen wird Rocky Votolato sein neues Album „Wild Roots“ veröffentlichen. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.
Im Zoom-Interview mit bleistiftrocker.de spricht Rocky Votolato unter anderem über die Inspiration und Entstehung von „Wild Roots“, die Arbeit während der Corona-Pandemie und (Triggerwarnung!) den tragischen Unfalltod seines Sohnes.
bleistiftrocker.de: Rocky, du hast zu deinem neuen Album „Wild Roots“ bereits im vergangenen Jahr eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Warum hast du dich dazu entschlossen?
Rocky Votolato: Ich habe das schon mal 2011 zu „Television Of Saints“ gemacht. Damals habe ich gute Erfahrungen damit gemacht. Und dieses Mal wollte ich es in verschiedene Farben auf Vinyl pressen lassen, was teuer ist. Zudem habe ich es selbst aufgenommen und kein Label mehr. Ich habe also auch Geld gebraucht, um das Album zu finanzieren. Beim ersten Mal hat es mir außerdem eine tiefe Verbindung mit meinen Fans gegeben. Sie hatten die Möglichkeit, das Album auf eine einzigartige und personalisierte Art zu unterstützen. Wir haben also dieses Mal auch wieder viele lustige Dinge angeboten.
Und die arbeitest du aktuell wahrscheinlich noch ab.
Oh ja. Ich habe noch einen Haufen Coversongs, die ich für Leute machen muss. Dazu habe ich über 100 handschriftliche Songtexte gemacht und Zoom calls mit Fans. Und das war richtig gut für mich. Seit dem Tod meines Sohnes hatte ich nicht mehr wirklich mit meinen Fans gesprochen. Es war gut, diese Energie wieder zu bekommen. Und seit der Pandemie war ich nicht mehr unterwegs. Es gab übrigens auch größere Pakete, für einen größeren Geldbetrag konnten Menschen nach Seattle kommen und mit mir und meiner Frau abhängen und sich die Stadt anschauen. Das haben auch einige getan. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
Wie lief die Arbeit am eigentlichen Album ab?
Es war das erste Mal, dass ich mein Album ganz alleine produziert und gemixt habe, hier in meinem Heimstudio. So habe ich auch die Zeit während der Pandemie verbracht, ich habe einfach an diesem Album gearbeitet. Es hat eine Menge Zeit gebraucht, ich musste einige technische Dinge lernen. Aber ich bin sehr glücklich, was dabei herausgekommen ist.
Musstest du denn Shows absagen, als Corona begann?
Ich war zu der Zeit schon fokussiert auf das Songschreiben und die Aufnahmen. Ich musste also nicht allzu viele Shows absagen. Aber es hat so lange angehalten, dass ich natürlich keine Touren machen konnte, die ich eigentlich gemacht hätte. Diese Einnahmen sind also weggefallen. Allgemein kann man sagen, dass es eine Krise für die Kunst war. Und es wird nachhaltige Auswirkungen haben. Vor allem hier in den USA, denn unsere Kultur ist nicht gerade eine Unterstützung für Kunstschaffende. Es ist eher diese „Jeder für sich“-Mentalität. Das ist aber auch keine Überraschung bei einem Land, das keine allgemeine Krankenversicherung hat. Ich habe eine kleine Entschädigung bekommen für die Touren, die wir nicht spielen konnten, aber das war lange nicht genug. Auch da hat mir die Crowdfunding-Kampagne im vergangenen Jahr sehr geholfen.
„Wild Roots“ ist ein Konzeptalbum über deine Familie. Woher kam die Idee dazu?
Wir hatten 15 Pferde auf der Ranch, auf der ich aufgewachsen bin. Und es war eine Erinnerung an diese Pferde, die mich auf die Idee zu dieser Platte gebracht hat. Ich war gerade auf Tour in Europa, als ich eine Pferdeweide gesehen habe, die der sehr ähnlich sah, auf der ich aufgewachsen bin. In diesem Moment kam mir die Vision für das gesamte Album in den Sinn. Ich hatte also gerade eine Show gespielt, schaute diese Weide an und mir war klar: Ich mache einen Song über jedes Mitglied meiner Familie und es wird zugleich meine Familiengeschichte erzählen. Das Album nimmt dich mit auf eine Reise: Von der Pferderanch in Texas, auf der ich aufgewachsen bin, zu meinem heutigen Leben in Washington. Es war viel härter, als ich dachte, denn ich hatte noch nie ein Konzeptalbum gemacht.
Die Songs auf dem Album klingen sehr warm. Beschreibt das auch die Beziehung zu deiner Familie?
Ja. Ich hatte mir die Songs als Geschenke für die Personen gedacht, mit Liebe und als Ermutigung. Und auch die Beziehung zu meinem Vater in „Texas Scorpion“ war zwar eigentlich hart, aber ich habe versucht, meine eigene Version von Cat Stevens‘ „Father And Son“ zu machen – mit meiner und seiner Seite der Geschichte. In dem Song biete ich Vergebung an. Ich wollte, dass das Album eine heilsame Erfahrung wird. Aber ja, die Beziehung zu meiner Familie ist sehr stark und eng. Dafür bin ich sehr dankbar.
Gibt es eine Möglichkeit für die Zuhörenden, herauszufinden, über wen du in den einzelnen Songs singst?
Ich habe darüber nachgedacht und kürzlich eine Legende dazu geschrieben. Die kann ich dir schicken, dann kannst du sie veröffentlichen.
Willst du denn überhaupt, dass die Menschen immer wissen, über wen oder was du genau singst?
Für mich ist es okay, wenn die Leute das wissen. Und sie können ja trotzdem ihre eigenen Verbindungen zu den Songs aufbauen. Als ich jünger war, wollte ich nicht, dass Menschen wissen, worüber ich genau singe. Ich glaube da war ich einfach jung und hatte Angst davor, dass sie Dinge über mich wissen könnten. Aber jetzt habe ich nichts zu verstecken.
Wie hat sich denn die Bedeutung des Albums nach dem Unfalltod deines Sohnes im vergangenen Dezember verändert?
Das ist eine gute Frage. Es war schon davor eine sehr bedeutende Platte für mich. Aber jetzt hat es natürlich eine noch tiefere Bedeutung, weil es eben um die Familie geht. Es ist das härteste, was deine Familie erleben kann. Und zur selben Zeit ist es eine Art Trost.
Und es gibt natürlich auch einen Track über Kienan auf „Wild Roots“.
„Becoming Human“ ist wahrscheinlich der bedeutendste Song, den ich je geschrieben habe. Weil ich ihn für mein Kind Kienan geschrieben habe, das gestorben ist. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage sein werde, ihn live zu spielen. Es ist bittersüß, das ist wahrscheinlich das Wort, das ich suche. Es hat eine tiefe Bedeutung und ist schön zu haben. Und es tröstet mich, dass Kienan den Song vor dem Unfall gehört hat. Das zu spielen würde sehr emotional werden. Aber ich möchte es gerne tun – mal sehen, ob ich das kann, wenn die Shows anstehen. Ich bin froh, dass der Song da ist und dass Menschen ihn anhören können. Jetzt ist er eher ein posthumer Liebesbrief.
Du hast in deinem Abschiedspost einige Songs aufgelistet, die du für deinen Sohn im Laufe der Jahre geschrieben hast. Meinst du, dass du sie noch live spielen wirst – und können sie dir vielleicht auch Trost spenden?
Ich hoffe es. Es kommt auf den Song an. Ich denke „Streetlights“ und „Tinfoil Hats“ waren schon immer sehr tröstend für mich. Ich glaube Kienan würde nicht wollen, dass ich nicht die Freude, die mir und anderen diese Musik gibt, haben würde. Auch wenn es hart wird: Die Sicht von meiner Frau und mir, wie wir mit dieser Tragödie umgehen, ist, an andere zu denken und sie so gut es geht voranzustellen – unsere Familie inklusive. Wir haben viel mehr Zeit mit unseren Nichten und Neffen verbracht. Das ist so ein Silberstreif am Horizont, dass wir alle näher zusammengekommen und unsere Beziehungen tiefer geworden sind. Denn wenn sowas passiert, merkst du, was wirklich wichtig ist: Menschen und die Liebe zu deiner Familie.
Wirst du bald wieder in Deutschland spielen?
Im nächsten Sommer heiratet ein deutscher Freund von mir und ich werde versuchen, zu seiner Hochzeit zu kommen. Und ich würde sehr gerne dann auch Shows spielen. Ich hoffe sehr, dass das klappt. Aber natürlich kann ich aktuell nichts versprechen. Durch Corona und die verrückte Welt, in der wir leben, ist es schwieriger geworden, zu reisen und auf Tour zu gehen.
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Foto: April Votolato