Wednesday schauen genau hin, wenn sie über die Abgründe der amerikanischen Provinz singen. Untermalt wird das von aufregendem Indie-Rock.
Ein Gastbeitrag von Berthold Voitl
Es genügen Sängerin Karly Hartzman wenige Zeilen, um ein Bild zu erzeugen. Unmittelbar sieht man die triste Situation vor sich: „Kid in Bath County, Virginia / Sippin‘ piss colored bright yellow Fanta / Heard someone died in the Planet Fitness parking lot“. Die Songs von „Rat Saw God“ sind Momentaufnahmen, Snapshots des amerikanischen Alltagslebens zwischen dem Schlangen-Stehen vor Panera Bread, abgemähten Feldern, auf den Schaukeln herumstehen und Kindern mit Läusen im Haar.
Wednesday beherrschen das Laut-und-Leise-Spiel, wie man es im Indie-Rock kennt. Das machen sie gleich mit dem Einstieg („Hot Rotten Grass Smell“) ins Album deutlich. Der Gitarren-Sound erinnert an den Noise-Pop, wie ihn My Bloody Valentine seinerzeit auf „loveless“ fabrizierten. Darauf folgt „Bull Believer“, ein 8-minütiges Getöse, irgendwo zwischen Pixies und Sonic Youth angesiedelt. Dieser Songs war der erste Vorgeschmack auf „Rat Saw God“. Wer so forsch auftritt, hat genügend Vertrauen in die eigene Klasse.
Der Sound von Karly Hartzman und ihren Band-Kollegen bewegt sich an vielen Stellen zwischen Shoegaze der 90er und Country-Sounds. Das klingt nach einer kruden Kombination. Doch sie geht überraschenderweise auf. Am besten sicher bei „Chosen To Deserve“, bei der die Lap Steel Guitar eine zentrale Rolle spielt.
Sex in Sackgassen
Der Song stellt eine eigenwillige Liebeserklärung an den Partner dar. Zu Beginn verrät uns Karly Hartzman, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, dem Geliebten auch die schlechtesten Geschichten über sich selbst zu erzählen. Was dann folgt, ist die wilde Story einer Jugend in der amerikanischen Provinz: Ihre Freunde und sie saufen, werfen Tabletten ein und landen schon mal in der Klinik, um den Magen ausgepumpt zu bekommen. Sex findet auf dem Rücksitz eines SUV in irgendeiner Sackgasse statt. Und wenn die Nacht am Pool des Nachbargrundstückes endet, geht Frau am nächsten Tag direkt zum Unterricht in die Sonntagsschule.
Selbst bei sehr ruhig angelegten Stücken wie „Formula One“ oder „What’s So Funny“ kommt keine Langeweile auf, weil es Karly Hartzman schafft, die Zuhörenden mit ihrem Gesang zu fixieren. Auch „Turkey Vultures“ beginnt verhalten, aber die präzise Arbeit von Drummer Alan Miller treibt den Song stetig voran.
Im Track „Quarry“ entwirft die Band in 4 Minuten eine Szenerie, die mit dem Nachbeben aus dem Steinbruch (der Songtitel!) einsetzt, streitende Eltern in Unterwäsche zeigt, von ihrem Vater erzählt, der versehentlich ein Feld abgefackelt hat und noch einen Polizeieinsatz schildert, bei dem zufällig ein „mob thing“ hochgenommen wird. Musikalisch wird das äußerst dynamisch mit dem Verfahren „Gas geben, abbremsen und erneut ordentlich aufs Pedal steigen“ umgesetzt.
Das gesamte Album ist nur 37 Minuten lang, aber man spürt direkt, dass Wednesday gerade dabei sind, dem Indie-Rock eine Frischzellenkur zu verpassen.
Albuminfos Wednesday – Rat Saw God
Künstler*innen: Wednesday
Albumname: Rat Saw God
VÖ: 07.04.2023
Label: Dead Oceans
wednesday.band
Fotos: Zachary Chick und Promo
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