Andrea Poggio hat im vergangenen Jahr sein Debüt als Solo-Künstler veröffentlicht. Beim Reeperbahn Festival 2019 hatte er gleich mehrere Auftritte. Wir haben uns mit ihm unterhalten.
Im Interview mit bleistiftrocker.de spricht Andrea Poggio unter anderem über den Unterschied zwischen Deutschland und seiner Heimat Italien, die schwierige Suche nach einem Label und seinen Kumpel Erlend Oye.
bleistiftrocker.de: Du hast eben auf der Bühne im Sommersalon gesagt, dass du zum ersten Mal in Hamburg bist. Stimmt das?
Andrea Poggio: Ja, das ist tatsächlich so. Ich habe viel über diese Stadt gelesen, war bisher aber noch nie hier.
Und wie sind deine Eindrücke?
Ich hatte bisher keine Zeit, irgendetwas außer dem Sommersalon und dem Hotel, in dem ich gestern gespielt habe, zu sehen. Aber ich habe gestern einen sehr coolen Typen getroffen, ihm gehört das Apartment, in dem ich hier wohne. Er ist ein 77-jähriger Punk, der mir viele schöne Geschichten von Bands erzählt hat, die hier gespielt haben.
Es ist aber nicht dein erster Auftritt in Deutschland, denn du warst bereits im Sommer beim Maifeld Derby zu sehen.
Ja, ich habe beim Maifeld gespielt, aber das war mein erstes Konzert in Deutschland. Das war sehr schön, denn die Zuschauer in Deutschland sind anders als in Italien. Anders in einer guten Art und Weise. Man bekommt viel Aufmerksamkeit und ihr scheint ungewöhnlicher Musik gegenüber sehr aufgeschlossen zu sein.
Wie ist das denn in Italien?
Italien hat nicht so eine große unabhängige Musikszene. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Die Musik in Italien war in den letzten 40 Jahren ziemlich abgefuckt, würde ich sagen. Sie lag vor allem in der Hand der Major Labels. Man bräuchte also eine starke unabhängige Szene, die wir gerade nicht haben. In Deutschland scheint mir das anders zu sein. Beim Maifeld habe ich diesen lebendigen Vibe gespürt, den ich sehr mochte.
Gibt es das in Italien denn gar nicht oder nur deutlich weniger?
Es ist weniger. Es gibt wenig Interesse an kleinen Dingen. Um in Italien groß zu werden, musst du außerhalb Italiens groß sein und dann zurückkommen.
Das ist dann also auch dein Plan?
Ich weiß es nicht. Wobei, ich habe nicht gesagt, dass ich in Italien nicht groß bin. (lacht)
Du hast dich dennoch dazu entschlossen, auf Italienisch und nicht etwa Englisch zu singen. Wieso?
Ich habe früher mal auf Englisch gesungen, sogar sehr lange mit meiner Band Green Like July. Wir haben drei Alben aufgenommen. Ich habe dann eine Notwendigkeit gespürt, damit zu beginnen, in meiner Heimatsprache zu singen, weil mir bei der Bedeutung der Songs etwas gefehlt hat. Es war schwierig, die richtigen Worte zu finden, weil es eben nicht meine Muttersprache ist. Ich wollte die perfekte Kontrolle über die Bedeutung meiner Songs haben. Zudem hat Italien meiner Meinung nach eine wunderschöne Tradition, die auf die Siebziger und Sechziger zurückgeht und ich wollte meine Einflüsse – vor allem Nineties-Indie oder die größten Bands der Achtziger wie Talking Heads und Kate Bush – damit mixen.
Für alle, die kein Italienisch sprechen: Worüber singt du? Bei deinem Auftritt eben hast du bei einem Track erklärt, dass er von Touristen handeln würde…
Ja, Touristen. Ich lebe in Mailand und das ist voller Touristen, wie viele andere italienische Städte wie Venedig oder Rom. Manchmal sind da so viele, dass man sich etwas fremd fühlt. Das wollte ich mit diesem Song ausdrücken.
Wie schreibst du denn so einen Song?
All meine täglichen Erfahrungen und Einflüsse wandern in eine Box und bleiben dort. Manche davon brauche ich vielleicht gar nicht.
Eine echte Box oder eine in deinem Kopf?
Es ist eine Box in meinem Kopf. Wenn ich welche wieder raushole, dann hoffentlich in einer starken Art und Weise. Wenn ich dieser einen Idee folge, kann daraus ein Song entstehen. Aber es ist ein langer Prozess und du weißt nie, wie er endet. Vielleicht startest du mit einer Idee, vielleicht einem Satz, den du in deinem Kopf singst. Dann schaust du, ob er irgendwas in dir auslöst. Nach einigen Wochen oder Monaten hast du vielleicht einen Song in der Hand. Das ist der kreative Prozess.
Du hast heute auch gesagt, dass du ein Label in Deutschland suchst…
Oh ja, unbedingt. Ich wünschte, ich würde eins finden. Ich bin im Moment mein eigener Manager. In Italien habe ich ein Label, hätte aber auch gerne eins im Ausland.
Das ist also immer noch wichtig, auch wenn du über das Internet natürlich schon viele Möglichkeiten hast, dich selbst zu vermarkten?
In gewisser Weise schon. Aber das ist eine sehr interessante Frage. Ich denke heutzutage versteifen wir uns ein bisschen zu sehr auf das Internet und glauben, dass es den Job für uns macht. Es ist viel Recherche zu tun und daran hapert es in diesen Tagen. Ein Independent Label kann auch heute noch einen großartigen Job für dich machen.
Wie nutzt du denn das Internet für dich? Magst du es, dich dort zu promoten?
Ich nutze es, weil ich es nutzen muss. Ich mag es aber nicht supergern. Wenn du ein Illustrator, Fotograf oder sowas bist, sind einige Medien wie Instagram perfekt für deine Kunst. Aber als Musiker ist es eher destruktiv, finde ich. Du kannst ein sehr guter Influencer auf Instagram werden, aber das macht dich nicht zu einem Musiker. Ich komme zudem aus einer Region in Italien, die sehr gegen Eigenwerbung ist.
Was bedeutet das?
Ich bin aus Piemont, ein Ort, in dem wir ein großes Understatement haben. In meiner Familie war es etwas Schlechtes, sich selbst zu promoten, das musste ich erst lernen. Die Leute sollen über dich sagen, dass du gut bist und nicht du selbst über dich. Das ist das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Für jemanden, der das immer im Hinterkopf hat, braucht es viel Therapie, das auszulöschen. Es ist schwer, Instagram zu nutzen, indem ich sage: „Hey, das bin ich, wie ich coole Dinge tue. Schau mal, wie cool ich heute Morgen bin.“
Aber du standest heute hier auf der Bühne und hast Ansagen gemacht wie „Der nächste Song ist sehr gut“.
Da ist natürlich viel Ironie dabei. Vor meinen Psychiatern wäre das ein perfektes Beispiel dafür, wie ich gegen meine eigene Krankheit ankämpfe.
Stimmt es, dass du als Anwalt arbeitest und da auch viel mit Musik zu tun hast?
Ja. Ich bin freiberuflicher Anwalt und arbeite vor allem mit Independent Labels. Ich versuche, sie aus der Scheiße zu bekommen.
Welche Art von Scheiße?
Viele Dinge. Große Firmen, die sie verklagen, bürokratischer Scheiß natürlich. Deshalb können sie Leute wie mich da gut gebrauchen.
Ich weiß, dass Künstler es nicht so mögen, mit anderen verglichen zu werden.
Das stimmt.
Ich bin aber sehr gespannt, ob du das schon mal gehört hast: Du erinnerst mich ein bisschen an Erlend Oye.
Ich kenne ihn sehr gut, er ist ein guter Freund von mir und ein toller Typ. Als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, dachten wir auch, dass wir sehr ähnlich sind. Aus optischer Sicht auf jeden Fall. Musikalisch bin ich mir nicht ganz so sicher. Aber ich mag ihn, ich mag seine Musik sehr gerne und er singt auf Italienisch meiner Meinung nach besser als die meisten italienischen Sänger. Er schreibt wunderschöne Texte auf Italienisch. Ich liebe ihn, aber musikalisch sehe ich nicht so viele Überschneidungen zwischen uns.
Es ist auch weniger die Stimme, sondern mehr die Art des Singens, würde ich sagen.
Das ist auf jeden Fall ein Kompliment. Vielen Dank.
Du hast bereits von deinen Idolen aus den vergangenen Dekaden gesprochen. Gibt es auch aktuelle Musik, die du magst?
Ja, auf jeden Fall. In den vergangenen Wochen bin ich an diesem Album von Weyes Blood aus Amerika hängengeblieben. Es ist ganz wunderbar. Und ich liebe Dirty Projectors, sie sind umwerfend. Und auch die Band Tune-Yards mag ich sehr gern.
Wie geht es denn bei dir weiter? Wird es bald ein neues Album geben?
Ich schreibe gerade. Drückt mir die Daumen, dass dabei etwas rauskommt – da bin ich mir aber sicher.
Da du vorhin erzählt hast, dass du aus Mailand kommst, will ich am Ende des Interviews noch einen Tipp von dir: Was muss man in deiner Stadt unbedingt gesehen oder gemacht haben, was im besten Fall kein typischer Touristen-Ort ist?
Ich würde in eine Bar namens „Ponkj“ gehen. Das ist ein sehr schöner und normaler Ort mit vielen Mailändern. Und in der Nähe ist eine süße Pasticceria namens „Cucchi“. Wenn du im Winter dort bist, kannst du eine wunderbare Panettone essen. Das ist eine Art Weihnachtskuchen, der aber kein wirklicher Kuchen ist, eher eine Art Brot, gefüllt mit schönen Sachen.
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Foto: Promo