We Invented Paris haben auf ihrem neuem Album „Catastrophe“ neue Wege beschritten. Ihr Sound ist inzwischen weit entfernt vom Akustik-Pop, den die Band früher gespielt hat. Mastermind Flavian Graber erklärt im Interview die Wandlung seiner Musik, die Bandpause und wie schwer es ist, im Musikbusiness zu überleben.
bleistiftrocker.de: Hallo Flavian, We Invented Paris versteht sich als Künstler-Kollektiv. Wie muss man sich die Arbeit innerhalb eurer Band vorstellen?
Flavian: Jeder hat sein Gärtchen, welches er beackern kann. Zum Teil arbeitet jemand nur im Studio mit, andere nur live, oder eben auch in nichtmusikalischen Bereichen. Wir sind kein fixes Kollektiv, es kommen und gehen also auch immer wieder mal Leute – genau das hält die Sache aber auch lebendig und macht es spannend, weil immer wieder neue Dynamiken entstehen.
Wie kommt es, dass ihr euren Stil auf „Catastrophe“ im Vergleich zu den Vorgänger-Alben deutlich geändert habt?
Ich hatte stark das Bedürfnis, mich künstlerisch weiter zu entwickeln und dafür hab ich die Akustik-Gitarre mal zur Seite gelegt und die Songs vor allem mit Synths und Drummachine geschrieben. Live spiele ich nun oft die Keytar.
Was hat sich in der Entstehung des Albums im Vergleich zu den anderen denn verändert?
Wir haben sehr viel mehr ausprobiert als bei den letzten Alben. Sehr viel mehr verworfen und wieder neu angefangen. Auch ist das Album an fünf unterschiedlichen Orten in vier Städten entstanden. Von Berlin bis zu einer Hütte im Schwarzwald.
Was habt ihr in der zweijährigen Bandpause getrieben?
Wir sind erstmal zur Ruhe gekommen, da wir von 2010-2014 fast pausenlos auf Tour oder im Studio waren. Dann habe ich sehr viele neue Songs geschrieben und wir haben mit verschiedensten Produzenten Sessions gemacht. Sogar mal fünf Songs komplett fertig aufgenommen und sie dann doch wieder verworfen.
Stimmt es, dass du für das neue Album 70 Songs geschrieben hast?
Ja – wobei die definitiv nicht alle vorzeigbar sind. Dieses Album war für mich eine Suche nach neuem Sound und Worten, deshalb brauchte es auch mehr Zeit und somit mehr Songs als bei den Vorgänger Alben.
Wie kam es zum recht fatalistischen Albumtitel „Catastrophe“?
„We’re the Uniserve. We’re family. We’re the catastrophe.“
Der Grund-Tenor des Albums ist trotz allem positiv. Wie schwer ist es denn, die Dinge in solchen politisch und gesellschaftlich schweren Zeiten noch entsprechend positiv zu sehen und zu beschreiben?
Entweder wir gehen in die Schockstarre, leben unser Leben mit Scheuklappen, oder aber reagieren auf das was um uns herum geschieht. Werden uns der Verantwortung bewusst, dass unser Leben nicht scheißegal ist und wir im kleinen Alltäglichen viel bewegen können. Tanzen ist für mich ein Ausdruck von Lebensfreude. Das Gegenteil von Angst. Ein furchtloser Tanz kann enorm viel bewegen.
Rund um die Album-VÖ habt ihr einige „surprise shows“ gespielt. Wie kamt ihr auf die Idee und wie lief das ab?
Wir haben mit unserer Catastrophe-Disco-Bar-Box an ungewöhnlichen Orten in der Stadt aufgeschlagen und die Leute dort mit einem 25-Minuten-Set, inklusive eigener Mini Cocktailbar, Discolichtern und Nebelmaschine überrascht. Als es darum ging, das neue Album zu promoten, wollten wir nicht einfach Werbung schalten oder die konventiellen Wege gehen, sondern haben uns an unsere Couchsurfing-Tour aus den WIP-Anfängen erinnert. Wir wollten wieder zu den Menschen hin gehen, dort wo das Leben spielt.
Was erwartet ihr euch von der ausführlichen Deutschland-Tour im kommenden Jahr?
Wir haben ein Bühnenbild und Lichtshow gebaut zusammen mit Bryan, einem kanadischen Künstler. So können wir auch visuell die Leute mit in unsere neue WIP-Welt nehmen. Es tut enorm gut wieder auf Tour zu sein und wir freuen uns auf die kommenden Februar-Shows in Deutschland. Wurde Zeit, dass wir mal wieder raus kommen.
In eurer Anfangszeit habt ihr bei Konzerten immer auch Songs inmitten des Publikums gespielt. Macht ihr das immer noch?
Komplett akustisch machen wir das momentan nicht mehr. Einerseits weil das mittlerweile fast jeder macht und es sich andererseits für uns nicht mehr frisch anfühlt. Will nicht heißen, dass wir das nie mehr machen werden. Zudem gehe ich mit der Keytar immer noch ins Publikum. Ich mag es, die Grenze zwischen Bühne und Publikum verschwimmen zu lassen.
Mit welchem Künstler würdest du gerne mal spielen oder einen Song aufnehmen?
Daft Punk oder Christian Löffler
Euer 2014er-Album wurde auf eurem Label 20.000 Mal verkauft – eine Zahl, die ihr als Erfolg vermeldet habt. Wie schwierig ist das künstlerische Überleben für „mittelgroße“ Bands wie euch dennoch?
2004 war ich als Gast am Southside Festival und habe gedacht: Wow, wenn du mal hier spielen kannst, dann hast du es „geschafft“. 2012 durften wir dann zum ersten Mal auf dem Southside Festival spielen und kamen bei der Tour am Ende so raus, dass jeder Musiker 50 EUR pro gespielte Show verdient hatte. Klar, es ist schwer zu überleben, aber ich will mich nicht beklagen, schließlich ist es ja meine Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Ich bin sehr dankbar für all das, was wir schon erleben durften. Es ist ein Vorrecht, einen Beruf auszuführen, den man liebt.
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CD-Review „Catastrophe“
Foto: Karine & Oliver