ESC-SPECIAL: So lief der siebte Proben-Tag beim Eurovision Song Contest 2022

Ein weiterer Proben-Tag in Turin: Am Freitag standen die restlichen Acts des zweiten Halbfinals erneut auf der Bühne des Eurovision Song Contest 2022.

Elf Künstler*innen probten ihren großen Auftritt ein letztes Mal einzeln. Sie alle sind Teil des zweiten Semifinals, das am kommenden Donnerstag ausgetragen wird.

Hier sind unsere Beobachtungen plus die offiziellen Kurz-Videos der Proben.

 

Sheldon Riley (Australien)

Sheldon Riley inszeniert sich und seinen Song „Not The Same“ regelrecht pompös: Der Australier steht auf einer Treppenkonstruktion und trägt, wie schon heimischen Vorentscheid, eine Maske, die er gegen Ende abnimmt, um sein Gesicht zu zeigen. Sein Dress ist weiß und, wie er im bald auf bleistiftrocker.de erscheinenden Interview verraten hat, 40 Kilo schwer.

Damit läuft er dennoch einige Stufen, um das große Finale aus einer höheren Position bestreiten zu können. Sein Gesang ist stark, der Gefühlsausbruch aus dem Vorentscheid bleibt (zumindest in der Probe) aus. Und auch die australische Delegation hat sich für eine Runde Bodennebel entschieden. Ein starker Auftritt, dem man Sheldon Rileys Verehrung für Conchita Wurst durchaus anmerkt. Probleme machten bei der zweiten Probenrunde allerdings noch einige Kameraeinstellungen und Kameraleute, die ungewollt im Bild eingefangen wurden.

 

Andromache (Zypern)

In das Bühnenbild von Andromache kann man viel reininterpretieren. Die Sängerin steht in einem Gebilde in der Mitte, der Hintergrund lässt es aussehen wie eine Muschel – Venus lässt grüßen. Allerdings lässt der gesamte Aufbau auch auf Wellen schließen – mit etwas Fantasie aber auch nur auf ein Stückchen aus der Rummel-Achterbahn „Wilde Maus“.

Zypern bringt sehr schöne, kräftige Farben auf die Bühne und baut den Wasserfall am Rand der Stage immer mal wieder in die bewegten Bilder ein. Andromache hat zwei Tänzerinnen dabei, die zunächst schlecht beleuchtet weiter weg sind, aber schließlich zu ihr kommen, um einige Choreo-Elemente aufzuführen. Beim dritten Take gab es dann mehrfach technische Probleme, die nicht die letzten des Tages sein sollten.

 

Brooke (Irland)

Vorab: Nein, es gibt wirklich keine Spielzeug-Pistole mehr, mit der Brooke während ihres Auftritts Spielgeld durch die Gegend schießt. Dafür hat sie einiges an Power. Und dass, obwohl sie ihren Song liegend startet. Vier Tänzerinnen sind dabei, die fünf bieten zusammen schöne Choreo-Elemente, vor allem, als sie in einer Reihe stehen.

Das Bühnenbild ist die meiste Zeit in rosa gehalten, der blaue Dress von Brooke setzt sich davon ab. Ihre Ausstrahlung ist zwar etwas kindlich, ihr Selbstbewusstsein ist aber greifbar und passt wunderbar zu ihrem Song „That’s Rich“.

 

Andrea (Nordmazedonien)

Am Beispiel von Andrea kann man wunderbar das Prinzip des Wow-Shots erklären: In einer eher unspektakulär gefilmten Performance gibt es auf einmal diesen Moment, in dem sie von oben gefilmt wird und die Visuals auf dem Boden aussehen, als wenn sie die Sängerin in einem Strudel nach unten ziehen würden – das eindeutige Highlight ihrer drei Minuten mit „Circles“.

Die Bühne ist zunächst in schwarze und blaue Lichter getaucht, Andrea trägt eine Art schwarzen Mantel. Zum Schluss des Auftritts dominieren dann die Farbe gold. Um schon mal eine Prognose zu wagen: „Circles“ dürfte mehr Punkte bei den Jurys als im Televoting machen, weil alles sehr edel und stark gesungen, aber nicht allzu aufregend ist.

 

Stefan (Estland)

Dass Stefan im Vergleich zum estnischen Vorentscheid Änderungen vornehmen wollte, wissen wir schon länger. Jetzt konnten wir sie erstmals selbst bestaunen: Der Sänger steht alleine auf der Bühne und bewegt sich viel – von der vorgelagerten Bühne über den Catwalk auf die große und zurück. Er strahlt Spielfreude aus, selbst wenn noch nicht alles klappt und er Angst hat, bei seinem Sprung auf den Catwalk auszurutschen, wie er es nach dem ersten Durchlauf äußerte.

Zu Beginn und kurz vor Schluss liegt ein Filter auf dem TV-Bild, der den Western-Charakter des Songs unterstreichen soll. Die Landschaftsaufnahmen auf den Screens im Hintergrund kommen leider kaum zur Geltung, weil die große schwarze Sonne, die Teil des Bühnenbildes ist, aber nicht wie geplant als zusätzliches Element genutzt werden kann, im Weg steht. Auch die Steady-Cam, die Stefan bei seinen Läufen filmt, war am Freitag noch nicht immer on point.

 

WRS (Rumänien)

Keine Überraschung bei WRS: Es wird natürlich getanzt, was das Zeug hält! Der Song „Llámame“ kommt etwas altbacken rüber, zu Beginn tragen die rot-gelbe Beleuchtung und das Rüschenhemd des Sängers zu diesem Eindruck noch bei. Dazu versucht er sich immer wieder mit „Hey!“-Anfeuerungen und wirkt dabei eher wie ein Torero.

Sehr schön ist aber, wie sich WRS an einer Stelle des Songs zunächst eng an einer Tänzerin und schließlich eng an einem Tänzer bewegt. Schließlich streifen sie ihm sein rotes Oberteil ab, danach steht er ärmellos für den Rest des Auftritts auf der Bühne und gibt allem noch mal einen Boost.

 

Ochman (Polen)

Dass Ochman nicht alleine auf der Bühne steht, konnten wir bereits auf den Fotos zur ersten Probe sehen. Seine vier Tänzer bleiben allerdings verhüllt und stehlen dem starken Sänger auch nicht die Show. Das tun eher die Visuals, denn es beginnt mit Regen-Sound, zwischenzeitlich sind Tropfen auf dem Screen und schließlich wird sogar ein Gewitter samt Erschütterung der Kamera inszeniert.

Das lenkt eher davon ab, wie stark Ochman singt und dass er schließlich auch mit seinen Mitstreitern interagiert: Die Dämonen, die sie darstellen sollen, kommen ihm nämlich immer näher und rempeln ihn zwischenzeitlich sogar an. Das letzte Bild zeigt dann Ochman von oben, wie sich die vier anderen um ihn herum hinlegen – vermutlich um den Frieden zu symbolisieren, den er für sich selbst in diesem Moment im Song findet.

 

Vladana (Montenegro)

Vladana hatte zur zweiten Probe eine Überraschung mitgebracht: An ihrem Dress war ein kreisförmiges Gebilde befestigt, das hinter der Sängerin zwar ungewohnt aussieht, aber auch einige Lichteffekte beinhaltet. Im Anschluss war zu erfahren, dass es eine Lunge darstellen soll und die eingearbeiteten Lichter auf die Stimme der Sängerin reagieren. Spannend und passend zum Song „Breathe“, aber auch mit hohem Meme-Potenzial.

Die gesamten drei Minuten über steht Vladana an derselben Stelle auf der vorgelagerten Bühne direkt vor dem Wasserfall. Sie singt mit großem Nachdruck, man merkt, dass der Song unter anderem von ihrer an Covid verstorbenen Mutter handelt. Auf der Leinwand im Hintergrund sind dazu die Gesichter von weiteren Corona-Opfern zu sehen. Der Bodennebel verstärkt den dramatischen Eindruck.

 

Jérémie Makiese (Belgien)

Jérémie Makiese fängt alleine auf der Bühne an – passend zu seinem Track „Miss You“, der sich langsam aufbaut. Zur zweiten Strophe schleichen sich dann Tänzer mit dazu, zu fünft gibt es zahlreiche Choreografie-Elemente. Der Sänger selbst sticht aber alleine durch seine auffällige silberne Jacke immer heraus.

Der Gesang ist stark, der Coolness-Faktor vergleichbar zum Musikvideo sehr hoch. Man wünscht sich gelegentlich, Jérémie Makiese würde noch ein bisschen wacher und entschlossener in die Kamera schauen. An der Schlussszene wurde am Freitag mehrfach geschraubt: Die Musiker stehen dann im Scheinwerferlicht, das anfangs viel zu grell war, sich schließlich aber auf eine Helligkeit einpendelte, die sie für das TV-Publikum sichtbar bleiben lässt.

 

Cornelia Jakobs (Schweden)

Die größten Probleme hatte am Freitag eindeutig Cornelia Jakobs, allerdings ohne eigenes Verschulden. Schon bei ihrem ersten Versuch machte das Mikrofon komische Geräusche und es klang, als würde ihr die Technik Stromschläge verpassen. Dann konnte die Schwedin, die eine der großen Favoritinnen auf den Sieg beim Eurovision Song Contest 2022 ist, ihre Musik nicht auf den In-Ears hören. Bei einem anderen Versuch gab es ein Problem mit dem Kameramann der Steady-Cam.

Einen richtig guten Durchlauf bekam Cornelia Jakobs so nicht hin, auch wenn sie alles professionell nahm. Ein „lustiger Trip“ sei ihre Probe gewesen, sagte sie später. Beim Bühnenbild ist Schweden bei der in verschiedenen Farben angestrahlten Scheibe geblieben, um die die Sängerin auch mal herumläuft oder sie auch mal herumdreht. Sie läuft übrigens die ganze Zeit barfuß über die Bühne, ein bisschen Rauch und Feuerwerk gibt es auch noch. Wenn denn dann alles klappt, natürlich.

 

We Are Domi (Tschechien)

Wer bei We Are Domi im Mittelpunkt steht, wird nicht nur beim Bandnamen klar: Die beiden Musiker Benjamin und Casper rahmen Sängerin Dominika ein, auch wenn sie alle recht weit voneinander entfernt sind. Es gibt zwischenzeitlich viele, womöglich zu viele Lichter in der Performance – und den „Lights Off“-Moment, in dem mal kurz alle ausgehen, lässt sich die Band natürlich nicht nehmen.

Auf dem Screen sowie dem Boden tauchen auch mal Statuen auf. Der Gesang ist nicht ganz so stark wie in der Studio-Version. Nach dem letzten Ton stellen sich dafür alle drei noch mal zum Gruppenbild auf und strahlen – nach dem Halbfinal-Auftritt dann wahrscheinlich noch mehr.

Am morgigen Samstag beschließen die Big Five die zweite Probenrunde – Alvan & Ahez (Frankreich), Mahmood & Blanco (Italien), Sam Ryder (Großbritannien), Chanel (Spanien) und Malik Harris (Deutschland). Die Presse wird per Stream dabei zuschauen können.

Am Sonntag gibt es die Eröffnungsfeier des Eurovision Song Contest 2022, aber keine Proben in der Halle. Die gehen am Montag weiter, dann bereits mit den kompletten Shows.

Das erste Halbfinale des Eurovision Song Contest 2022 steigt am 10. Mai, das zweite Halbfinale zwei Tage später. Am 14. Mai geht es dann im großen Finale um den Sieg.

Alle Songs des diesjährigen ESC kann man hier anhören. Alle Künstler*innen des Jahrgangs haben wir hier aufgelistet.

 

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Foto: EBU / Corinne Cumming

 

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