INTERVIEW: Livingston

An Livingston kommt man derzeit kaum vorbei: Ihr Debütalbum stieg Ende 2009 in die deutschen Top 20 ein, ihre Single „Broken“ wurde zum Radiohit und der Nachfolger „Go“ zur ZDF-Titelmusik der Olympischen Winterspiele in Vancouver.

Livingston, Interview

Hinter dem rasanten Aufstieg der fünf Musiker steckt allerdings eine lange Bandgeschichte, die die Jungs aus den verschiedensten Ländern zunächst nach London und nun in aller Munde gebracht hat. Ihr großes Plus ist die Vielseitigkeit und die vielen verschiedenen Einflüsse, auf die sie zurückgreifen können. Die Multikulti-Truppe besteht aus (Bild von links nach rechts) dem südafrikanischen Gitarristen Chris, dem italienischen Drummer Paolo, dem englischen Bassisten Phil, dem ebenfalls südafrikanischen Sänger Beukes sowie dem deutschen Gitarristen und Drummer Jakob.

Wir trafen Livingston vor ihrem Auftritt am 11. März in der Frankfurter Batschkapp zum Interview.

Frage: Ihr seid jetzt schon seit über einer Woche quer durch Deutschland unterwegs. Wie läuft die Tour bisher für euch?

Beukes: Sie läuft großartig. Wir bekommen tolle Rückmeldungen und die Leute sind alle sehr freundlich zu uns. Es sind schon sehr viele zu unseren Shows gekommen, das ist cool.

Ihr kommt aus vier verschiedenen Ländern und könntet deshalb auf den ersten Blick auch als Castingband durchgehen. Wie überzeugt ihr die Leute davon, dass ihr euch den Erfolg wirklich selbst erarbeitet habt?

alle: (lachen)

Beukes: Das ist richtig seltsam, aber natürlich hören wir das nicht zum ersten Mal. Aber es ist für uns ein wirklich fremdes Konzept, dass wir irgendwie zusammengestellt wurden. Wir haben Auftritte absolviert und wie die Wahnsinnigen drei Mal pro Woche gemeinsam in London geprobt, sechs oder sieben Jahre lang. Und dann sind wir nach Deutschland gekommen. Getroffen haben wir uns in London in Clubs und Proberäumen. Die Idee, dass wir gecastet sein könnten, passt also gar nicht. Aber ich glaube, dass es auch ein Kompliment ist. Denn um in eine Castingband zu kommen, muss man jung sein und gut aussehen. (lacht)

Ihr habt in der Vergangenheit viele Auftritte als Vorband absolviert, unter anderem für Revolverheld oder Ich & Ich. Welches war denn die beste Show?

Chris: Jeder Auftritt war anders. Es gab keinen bestimmten Abend, der für uns der beste war. Mit allen Bands hat es Spaß gemacht, auf Tour zu sein. Einige dieser Shows haben wir vor großem Publikum gespielt, das ist immer sehr schön.

Jakob: Für uns war es etwas Besonderes, als wir zum ersten Mal hier gespielt haben. Das war die Tour mit Revolverheld. Ich erinnere mich an den ersten Auftritt in Bremen vor 2000 Zuschauern. Mit Ich & Ich wurde es dann noch größer und wir haben in großen Hallen gespielt, einmal sogar vor 7000 Leuten. Das war sehr spektakulär.

Kanntet ihr die deutschen Bands denn vorher überhaupt?

Chris, Paolo und Phil: Nein.

Beukes: Ich erinnere mich daran, dass mir Jakob mal von Revolverheld erzählt hat. Aber Ich & Ich kannte ich vorher nicht.

Ihr habt ja viele unterschiedliche Einflüsse, gerade durch eure verschiedenen Nationalitäten. Wie würdet ihr denn eure eigene Musik beschreiben?

Paolo: Melodischer Alternative-Rock trifft es ganz gut.

Wie schafft ihr es, diese ganzen Einflüsse zusammenzubringen?

Paolo: Das ist ein sehr natürlicher Prozess.

Phil: Wir haben einfach unsere Instrumente genommen und drauflos gespielt. Und man kann jetzt hören, was dabei herausgekommen ist, nach einigen Jahren des Tunings.

Beukes: Wir haben uns wirklich nie hingesetzt und gesagt: ‚So muss unsere Musik klingen, davon sollten die Texte handeln und so wollen wir auftreten.‘ Alles, was wir machen, hat sich über die Jahre einfach so entwickelt. Das Schreiben und Spielen muss einfach ganz natürlich sein. Abgesehen von Paolo sind wir nämlich alle schlechte Schauspieler. Und wenn es nicht natürlich ist, ist es schlecht.

Ihr habt auf dem Album und auf der Bühne viele verschiedene Instrumente dabei. Welches ist denn euer liebstes?

Jakob: Das ist schwierig. Abgesehen von den üblichen Gitarren, Bässen und Drums haben wir einige Percussion-Instrumente auf der Bühne. Ich mag das Hang sehr gerne, das kommt auch bei den Zuschauern immer sehr gut an. Es ist ein Instrument aus der Schweiz, das ich letztes Jahr entdeckt habe. Ich spiele es in einer unserer Balladen. Es sieht auch wie ein Wok oder ein Ufo aus Stahl und man schlägt mit der Hand drauf. Für mich ist es sehr spannend, an seltsamen Orten neue Instrumente zu entdecken, einfach welche, die man nicht allzu oft sieht. Da lasse ich mich sehr gerne inspirieren.

Ihr habt euch vor einigen Jahren in London getroffen und seid nun ständig auf Tour. Wo seid ihr denn im Moment zuhause?

Beukes: In Berlin. Ich war der letzte, der dorthin gezogen ist. Die anderen sind schon im Laufe des letzten Jahres umgezogen. Zurzeit leben wir also alle in Berlin und sind dort zuhause.

Und wie gefällt euch Berlin?

Beukes: Ich liebe Berlin. Die Menschen sind sehr abwechslungsreich und die Stadt ist ein Sammelplatz für viele verschiedene Leute. Besonders für Künstler ist es ein sehr inspirierender Ort.

Ihr habt als Band vor sieben Jahren angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Euer Debütalbum ist aber erst 2009 erschienen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Chris: Es sind viele Sachen passiert. Am Anfang mussten wir uns erstmal als Band finden und unseren Stil entwickeln. Mit so vielen verschiedenen Menschen in einem Raum passiert das nicht einfach alles sofort. Zuerst haben wir viel in London gespielt, dann im restlichen England. Das waren meistens Tourneen, die wir selbst finanziert haben. Dazu kamen Festivals. Danach sind wir durch ganz Europa gezogen, wir waren zum Beispiel in Holland, Griechenland oder Irland. Währenddessen haben wir Leute aus der Musikindustrie getroffen und angefangen, das Album aufzunehmen. Dann kamen die Supportgigs in Deutschland. Zu der Zeit sind wir dann auch nach Amerika geflogen, um dort das Album aufzunehmen. So war einfach der gesamte Prozess. Es wäre sicherlich nicht so geworden, wie es jetzt ist, wenn das alles in einigen Monaten passiert wäre.

Und wie kommt es, dass ihr euch im Moment auf Deutschland konzentriert?

Chris: Es ist einfach passiert, dass die Dinge in Deutschland für uns so gut laufen. Wir haben hier sehr viel Zeit verbracht. Unser Management hat ein Büro in Berlin und hat uns vorgeschlagen, dass wir auch herkommen sollen, um viel in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu spielen. Aber wir spielen auch in anderen Ländern. Es ist nur der erste Schritt von dem, was noch passieren wird.

Jakob: Als wir in England waren, hat uns dort ein Indie-Label unter Vertrag genommen. Das ist ein gutes Label, aber es hat einfach nicht die Power wie die Plattenfirma, bei der wir jetzt sind. Wir haben in Berlin bei Universal unterschrieben, also hat es für uns Sinn gemacht, für einige Zeit dorthin zu ziehen. Und dann gehen wir wieder in andere Länder. Das ist unsere Philosophie, einfach dorthin zu gehen, wo uns die Musik hinführt. Jetzt gerade ist es einfach Deutschland, weil sich für uns viele Türen geöffnet haben.

Wie schreibt ihr denn eure Songs?

Beukes: Wir setzen uns einfach gemeinsam hin, jemand bringt ein Gitarrenriff mit und wir jammen damit. Das wird dann zu einem größeren Teil, der dann wiederum zu einem Vers oder einem Refrain für einen neuen Song werden könnte. Dann arbeiten wir weiter daran. Über die Jahre haben wir gelernt, wie wir gemeinsam Songs schreiben. Für mich ist das viel inspirierender, als alleine mit der Gitarre irgendwo zu sitzen und sich einen Song auszudenken. Es ist netter und macht mehr Spaß, das mit anderen Leuten zu machen, besonders wenn man sie sehr gut kennt und diese Synergien hat.

Du singst auf dem Album ja auch einen Song in einer südafrikanischen Sprache. Wie kam es dazu?

Beukes: Ja, der Song ist in Zulu, das ist die Sprache, mit der ich in Südafrika aufgewachsen bin. Ich glaube, wir haben ihn deshalb auf das Album genommen, weil er live immer sehr speziell war und sehr gut funktioniert hat.

Jakob: Wir haben ihn einfach sehr häufig live gespielt und die Leute fanden ihn toll. Es war eine Last-Minute-Entscheidung, den Song mit aufs Album zu nehmen. Und das hat gut funktioniert und wir sind sehr zufrieden damit. Es war auch der letzte Song, den wir aufgenommen haben. Da waren wir gerade ein Berlin und haben es auf dem Dach eines großen Gebäudes aufgenommen. Wir haben einfach ein Mikrofon aufgestellt und es direkt in einen Laptop eingespielt. Eine sehr spontane Sache an einem Sommerabend in Berlin. Das hat sehr viel Spaß gemacht.

Beukes, du hast ja bereits erwähnt, dass du aus Südafrika kommst. Interessierst du dich auch für die kommende Fußball-WM?

Beukes: Ja, besonders auch, wie sich Südafrika dabei schlagen wird.

Und was denkst du, wie sie abschneiden werden?

Beukes: Sie werden ihr Bestes geben. (lacht)

Paolo: Ich glaube, dass sie gut abschneiden werden. Die Heimteams lassen sich ja immer von der Begeisterung ihrer Fans anstecken.

Eure Band ist nach dem Buch „Jonathan Livingston Seagull“ (Deutsch: Die Möwe Jonathan) benannt. Beukes hat mal dazu gesagt, dass es unter anderem darum geht, im Leben Spuren zu hinterlassen. Welche Spuren wollt ihr denn mit eurer Band im Musikbusiness hinterlassen?

Jakob: Wir wollen uns selbst treu bleiben. Und hoffentlich sind wir weiterhin selbst inspiriert und können auch andere Menschen inspirieren. Ich glaube, wir können den Menschen etwas geben, wenn sie zu unseren Shows kommen und einen schönen Abend haben. Wenn die Leute mit guter Laune von unseren Konzerten nach Hause gehen, ist das für mich das schönste Geschenk. Mehr kann man sich nicht wünschen.

Beukes: Wenn ich etwas hinterlassen will, dann, dass wir alles, was wir getan haben, auf natürliche Art und Weise getan haben, ohne jede Art von Schauspielerei oder Falschheit. Wir machen einfach das, was wir machen und die Leute mögen es oder eben nicht.

Vielen Dank für das Interview.

(Im Original erschienen bei triggerfish.de am 16. März 2010.)