Lord Of The Lost: „Wir haben schon immer polarisiert“

Lord Of The Lost werden Deutschland mit „Blood & Glitter“ beim ESC 2023 vertreten. Wir haben uns mit Sänger Chris Harms unterhalten.

Lord Of The Lost, Eurovision Song Contest 2023

Chris Harms von Lord Of The Lost spricht im Interview mit bleistiftrocker.de unter anderem über den Sieg beim deutschen Vorentscheid, den Umgang mit Hatern und die Bühnenshow für Liverpool.

bleistiftrocker.de: In der Pressekonferenz nach „Unser Lied für Liverpool“ habt ihr angekündigt, erst mal eine Woche gemeinsam an die Ostsee fahren zu wollen. Wie war es?

Chris Harms: Wir haben es tatsächlich absagen müssen, weil wir einfach zu viel zu tun hatten. Genau an diesem Wochenende kam Interview um Interview und dann war auf einmal nur noch ein kleines Zeitfenster für Familie. Wir werden es dann im Herbst machen, da haben wir wieder Zeit.

Wie blickt ihr denn mit etwas Abstand auf den Vorentscheid zurück? Habt ihr alles genießen können, was so um euch herum passiert ist?

Ja, wir haben es auf jeden Fall genießen können. Aber es hat tatsächlich eine Weile gebraucht, das sacken zu lassen. Vor allem, weil man ja nicht so wirklich in eine Phase des entspannten Genießens kommt, weil jetzt ja erst der große Berg kommt. Das war ja nur der erste Schritt, jetzt geht es erst so richtig los. Wir sind eigentlich eher dabei, uns vorzubereiten, anstatt Zeit zu haben, das wirklich zu genießen. Und diese Vorbereitung besteht wirklich maßgeblich aus Gesprächen, Presse und Planungen und bei mir tatsächlich auch sehr viel im Kopf. Ohne zu wissen, was genau auf mich zukommt, versuche ich jetzt schon, mich auf ein Level der Entspannung zu bringen, dass ich diesen Auftritt auch souverän meistern kann – im besten Fall souveräner als beim Vorentscheid. Da hat man schon gemerkt, dass ich in der Sieger-Performance viel sicherer gesungen habe als beim Auftritt selbst. Diese Entspanntheit muss ich jetzt versuchen, mir anzueignen.

In der Sieger-Performance hast du dich auch nicht mehr um die Kameras gekümmert.

Das war mir dann wirklich scheißegal. Ich dachte: Na ja, ihr seid ja hier zehn Kameraleute, ihr werdet schon irgendwie in der Lage sein, mich zu verfolgen, ich gehe jetzt mal zu Babsi auf die Couch.

Nach der Jurywertung bei „Unser Lied für Liverpool“ wart ihr nur im Mittelfeld. Habt ihr da noch gedacht, dass es mit dem Sieg klappen kann?

Nein. Aber ich habe von Anfang an nicht damit gerechnet, dass es klappen kann. Ich bin ein totaler Analytiker, was Zahlen angeht. Ich schaue mir sowas alles im Vorfeld an. Ich war von der Jurywertung überhaupt nicht überrascht, ich hätte uns auf Platz vier oder fünf oder sogar sechs eingeordnet, weil die Jury nun mal maßgeblich ein Zusammenschluss aus Menschen aus der Popularmusik ist. Die werden sich maßgeblich für Pop-affine Acts entscheiden. Genauso hätte ich meinen Arsch drauf verwettet, dass Finnland uns zwölf Punkte gibt, weil dort Metal und Rock nun mal die populärste Musikrichtung ist. Das war nicht überraschend. Aber ich habe tatsächlich nicht mit dem Sieg gerechnet. Denn wenn man sich Ikke Hüftgold und generell das Standing von Partyschlager in Deutschland anschaut – seine Spotify-Streams, seine CD-Verkäufe, seine Konzertbesuche – und das mal alles gegeneinander aufgerechnet hat, dann war für mich völlig klar, dass er nach Liverpool fährt. Und damit hatte ich meinen Frieden gemacht.

Was sagt denn deine Analyse für Liverpool: Werdet ihr dort womöglich auch deutlich mehr Punkte vom Publikum bekommen als von den Jurys?

Es ist total schwer, bei potenziell 37 Ländern vernünftig in die Zahlen reinzuschauen. Bei den Jurys rechne ich nicht damit, dass wir gut abschneiden. Wir sind in den generellen Vorab-Umfragen nicht scheiße unterwegs. Da sind wir relativ weit vorne. Was die Buchmacher angeht sind wir sehr weit hinten, die glauben überhaupt nicht an uns. Ich glaube, dass wir eher beim Publikum gewinnen werden. Das sage ich aber nur aus einem Bauchgefühl, weil ich der Meinung bin, dass der Überraschungsmoment eines Acts wie uns … Dass dort Leute sitzen und sagen „Oh wow, das ist ja mal was anderes. Die sind ja cool, ich ruf mal an“, dass das möglich ist – eher als bei einer Jury. Es kann aber natürlich auch das Gegenteil sein. Dass die Leute sagen: „Was ist das denn für eine peinliche Scheiße aus Deutschland?“ Und auf die Metal- und Rock-Community alleine kann man nicht bauen, weil sie im Verhältnis zu den regulären ESC-Hörern weit in der Unterzahl ist. Deshalb können nur ein Überraschungsmoment und der Funke, der hoffentlich überspringt, dazu führen, dass die Leute für uns anrufen.

Man hört ja immer wieder die Nörgelei „Deutschland wird doch eh Letzter“, bei euch inzwischen wahrscheinlich gefolgt von der Frage „Warum tut ihr euch das an?“. Habt ihr euch darauf schon eine gute Antwort überlegt?

Wir sind zum Glück schlagfertig genug, da fällt uns tatsächlich häufig spontan was ein. Aber grundsätzlich gibt es halt eine Meckerkultur in Deutschland, die enorm ausgeprägt ist. Alleine das ist tatsächlich schon Ansporn, ein bisschen weiter vorne zu landen. Ich kenne diese ganzen Hasser im Netz alle nicht persönlich und ich bin mir sicher, dass es einen Grund gibt, warum sie soviel Hass verbreiten müssen. Weil sie vielleicht alle sehr einsam und sehr traurig sind. Aber trotzdem wünsche ich mir nicht, dass sie recht behalten. Uns war aber im Vorfeld klar, dass diese Form von Gegenwind auch extrem kommt. Wir haben als Band musikalisch und vor allem visuell schon immer polarisiert und sind es gewohnt, dass die Leute uns entweder lieben oder hassen und selten was dazwischen. Damit muss man leider leben.

Da du schon den Umgang mit Hatern ansprichst: Ihr habt kürzlich einen dummen Kommentar aus dem Netz auf Merch gedruckt und bissig auf einen Tweet von Frauke Petry geantwortet. Ist das eure generelle Herangehensweise?

Also einige Kommentare sind einfach so unfassbar dumm und gleichzeitig lustig. Wir haben tatsächlich schon häufiger Hater-Kommentare auf Merch gedruckt. Das erste Mal mit dem Kommentar „Lord Of The Super Super Super Super Gay Ninjas“. Und wir dachten: Gay Ninjas? Das ist so witzig! Da habe ich ein Shirt-Design gemacht, nur als Versuch, und habe es hochgeladen und gefragt, wer eins will. Da gab es hunderte Likes und Kommentare. Wir haben es also in den Shop gestellt und da haben 500 Leute so ein Shirt gekauft. Und ich dachte: Wow, wir haben gerade mit der Negativität anderer Leute Geld verdient. Wir haben es dann noch mal gemacht, da schrieb jemand „The symbol of a dying scene“ – das wurde dann ein schöner Jutebeutel. Und jetzt ganz aktuell, als uns vorgeworfen wurde, keine authentische Band zu sein, wir seien nur vom NDR zusammengewürfelt worden und machen billigen Öko-Rock. Das haben wir auch sofort auf ein T-Shirt gemacht und tausend „Billiger Öko-Rock“-Artikel verkauft. Und den Gewinn spenden wir zur Wiederaufforstung des Regenwalds, weil wir nun mal Öko-Rock machen. Also hat dieser Hater damit sogar was Gutes getan, das ist doch schön.

Du hast nach dem Vorentscheid gesagt, dass du euren Auftritt in Liverpool gerne noch größer und glamouröser haben willst. Wie sind denn eure aktuellen Planungen und Vorstellungen dafür?

Generell wird das, was wir gemacht haben, hochskaliert werden. Wir werden nicht auf einmal etwas völlig Neues machen. Wir arbeiten natürlich mit Pyro und maßgeblich in rot. Die Videoprojektion wird ein bisschen anders, sie ist eben überall, auch auf der Erde. Wir werden unsere Outfits ein bisschen updaten, das wird noch ein bisschen glamouröser. Ich muss mal gucken, ob ich mich wirklich auf High Heels traue wie im Musikvideo. Das ist eine Bewegungsfrage, ich bin das nicht gewohnt. Wir werden die Gerüste weit mehr in die Höhe bauen, weil die Bühne größer ist. Und wir arbeiten nach wie vor an dem roten Goldregen, der quasi einen Blutregen als Pyro darstellen soll. Da ist noch die Frage, ob das machbar ist. Das sind alles Geld- und Technik-Fragen, weil die Bühne beim Finale ja für 26 Acts funktionieren muss. Deshalb ist noch nicht alles in Stein gemeißelt. Aber wir werden keine gänzlich neue Show machen.

Natürlich gibt es auch noch die Frage nach dem Ziel beim ESC. Peilt ihr eine bestimmte Platzierung an?

Das Ziel ist natürlich, besser als Vorletzter zu werden, weil das so ein bisschen der Schnitt der letzten Jahre ist. Und es wäre sehr befriedigend, uns auf der linken Seite der Tabelle, also in der ersten Hälfte, zu sehen. Das würde uns sehr freuen. Aber ich bin ganz vorsichtig mit Zielen. Natürlich hat man in sich drin immer das Ziel, gewinnen zu wollen, sonst macht man keinen Wettbewerb mit. Aber es gibt eben auch die Bescheidenheit und die reelle Einschätzung. Und die ist nun mal, dass wir mit Deutschland durchaus auch Letzter werden können – ganz egal, mit was wir dort antreten. Weil das ESC-Publikum Deutschland und seine Beiträge vielleicht einfach per se nicht feiert, aus welchen Gründen auch immer. Aber das ist eine Mutmaßung, bei der mir schwerfällt, sie überhaupt zu äußern, weil ich es nun mal nicht abschätzen kann.

Ihr werdet Ende April, also kurz vor Liverpool, noch mal in Südamerika auf Tour sein. Wie kriegt ihr das in euren Planungen überhaupt unter?

Die Tour war schon lange vor dem ESC geplant. Und du sagst so eine Mexiko/Südamerika-Reise nicht einfach ab. Da verlierst du viel Geld und du enttäuschst viele Ticket-Käufer. Deshalb mussten wir es einfach unterbekommen. Wir haben dem NDR halt gesagt, wann wir Zeit haben und wann nicht. Aber ich sehe es schon kommen, dass wir auch ein paar Online-Interviews machen werden, während wir in Südamerika sind. Das geht ja auch.

Und dann geht es nahtlos weiter zum ESC?

Wir kommen am 01. Mai wieder und fliegen am 03. Mai nach Liverpool.

 

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Foto: VD Pictures

 

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