Eindrücke von der ersten Durchlaufprobe des ersten ESC-Halbfinals 2023

Die erste Durchlaufprobe zum ersten Halbfinale des Eurovision Song Contest 2023 hat am Montagnachmittag stattgefunden. Hier sind unsere Beobachtungen.

Noa Kirel, Eurovision Song Contest 2023

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren waren die Einzelproben in der ersten Woche dieses Mal für die Presse nicht einsehbar. Das erste Dress Rehearsal für das erste Halbfinale war für akkreditierte Medien wie uns also die erste Gelegenheit, komplette Auftritte zu sehen.

Zumindest im Online-Pressezentrum war die Qualität der Proben-Übertragung technisch nicht besonders hochwertig. Für Eindrücke, vor allem von den Bühnenshows der einzelnen Acts, hat es aber natürlich trotzdem gereicht.

Postkarten wieder deutlich verbessert

Die wichtigsten Dinge zuerst: Die Postkarten sind in diesem Jahr deutlich schöner als im vergangenen Jahr in Turin, als eine vermenschlichte Drohne unmotiviert durch die Gegend flog und die Acts schlicht irgendwo in die Landschaft projiziert wurden. Dieses Mal werden Orte in der Ukraine, Großbritannien und im Land des jeweiligen Acts miteinander verbunden, wir treffen die Künstler*innen und sehen sie bei irgendeiner Action, beispielsweise Luke Black beim Fechten. Zudem ist die Bühne sehr gelungen mit einem Catwalk und einer runden vorgelagerten kleinen Bühne, die viele Acts nutzen – genauso wie die Möglichkeit von Visuals auf dem Boden.

The Busker wie im Videospiel

Alessandra aus Norwegen bleibt für ihr „Queen Of Kings“ als Opener dem Staging treu, das ihr den Erfolg beim heimischen Melodi Grand Prix beschert hat. Ein Teil ihres Kostüms wird ihr auch dieses Mal während der Performance weggerissen, sie tritt kraftvoll und energisch auf und bedient sich auch cooler Visuals auf dem Boden. Natürlich läuft dramaturgisch vieles auf den langen hohen Ton am Ende hinaus. Ein Power-Start!

The Busker für Malta verwandeln ihr „Dance (Our Own Party)“ in eine Mischung aus Videospiel und Instagram-Erlebniswelt. Witzig sind die Pappfiguren von früheren maltesischen Teilnehmer*innen, zumal die Performance mit einem Shot der Pappfigur von Destiny (2021) beginnt. Natürlich kommt auch der Trick-Sweater wieder zum Einsatz, zudem gibt es eine Art Dance-Break. Viel los, viel Spaß!

Luke Black hat für sein „Samo Mi Se Spava“ das Setting vom serbischen Vorentscheid beibehalten: Er beginnt in der überdimensionalen Seifenschale, steht dann auf, verwandelt sich in eine Art Mad Scientist und haucht mehr, als dass er singt. Spannend.

Lettland und Irland versuchen es mit Gold

Sudden Lights aus Lettland haben für ihr „Aija“ dann tatsächlich Ann-Sophie-Gedächtnisscheinwerfer auf der Bühne. Auf der Leinwand hinter ihnen gibt es zwischenzeitlich eine Art Gold-Feuerwerk, das gar nicht richtig zum Song passt, der an sich kein Feuerwerk-Material ist. Insgesamt arbeitet die Band viel mit Gold und nutzt ebenfalls auch den Boden dafür.

Kaum Budget hat dagegen Portugal in seinen Auftritt gesteckt: Mimicat hat vier Tänzer*innen dabei, alle sind in rot gekleidet und tanzen gut gelaunt ihren Flamenco zu „Ai Coracao“ – erst hinten, dann auf der vorgelagerten Bühne. Unspektakulär, aber sympathisch.

Auch Wild Youth aus Irland spielen bei „We Are One“ die Gold-Karte aus: Sänger Conor O’Donohoe ist in einem goldenen Jumpsuit gekleidet und beginnt auf einer Treppe, die er dann heruntergeht. Er nutzt zudem den Catwalk, um auf der Vorderbühne einen kleinen optischen Schattentrick mit seiner Hand auszuführen. Der Rest der Band steht eher statisch an den Instrumenten. Allzu überzeugend ist das alles leider nicht.

Das erwartet wilde Schauspiel liefern Let 3 aus Kroatien: „Mama SC!“ ist ähnlich bunt wie im Vorentscheid, der Diktatorenlook steht am Anfang, bevor die Musiker dann mehr von sich zeigen, als man eigentlich sehen möchte – und die Raketen kommen auch noch auf die Bühne. Der beste Shot ist auch hier wieder einer von oben, der Boden-Visuals nutzt.

Remo Forrer mit starkem Gesang

Remo Forrer war in der Probe derjenige, dessen starke Gesangsstimme trotz Übertragungsschwierigkeiten am besten klang. Auf der Bühne hat er vier Tänzer*innen, wenn er für die Schweiz „Watergun“ performt. Sie umtanzen ihn zu Beginn mit Bändern, dann wird Pyro genutzt, um offenbar eine Art Bombenregen zu imitieren. Später rennen die Begleitungen von der Bühne und Remo singt vorne den Rest seines Songs.

In einer visuell ansprechenden Box beginnt Noa Kirel für Israel ihren Auftritt mit „Unicorn“. Das bringt starke TV-Bilder, aber recht schnell springt sie raus und bekommt Unterstützung von Tänzer*innen. Sie nutzen die ganze Bühne aus, bis es zum Höhepunkt kommt: Noas Tanz, bei dem sie über den Boden wirbelt, während ihr Gesicht auf der Leinwand zu sehen ist. Eine Show mit viel Dynamik, auch wenn der Song dabei ein bisschen zu kurz kommt.

Pasha Parfeni macht bei seiner Rückkehr zum ESC für Moldau alles anders als 2012: Dieses Mal ist er der mystische Sänger bei „Soarele Si Luna“ in weitem Gewand, der mit Tänzerinnen und einem Flötenspieler über die Bühne springt – im Vergleich zu den Einzelproben übrigens mit offenen Haaren.

Loreen mit verkleinertem Melfest-Staging

Favoritin Loreen setzt bei ihrem Staging auf eine abgespeckte Variante vom Melodifestivalen: Sie steht noch immer in einem überdimensionalen Sandwichtoaster, performt und erleidet ihren Song „Tattoo“ und verschafft sich dabei immer mehr Raum, bis sie schließlich stehen und alles geben kann. Ein erwartbarer Auftritt, der durch die Verkleinerung etwas an Wucht verliert. Zudem waren in der Probe noch mehrmals Kameramänner ungeplant im Bild.

Mit Bildschirm-Effekten versuchen es schließlich TuralTuranX, die Zwillinge aus Aserbaidschan, die warum auch immer auf einer wie ein gebrochenes Herz geformten Plattform stehen. Es gibt bei „Tell Me More“ Splitscreen-Einblendungen sowie Schwarz-Weiß zu Beginn, die Bühne und die Outfits sind in gelb und lila getaucht. Den Song wertet das alles leider kaum auf – auch wenn die Schlussfrage im Song „How do you feel about us right now?“ bei voller Halle sicherlich gut ankommen dürfte.

Zopf-Choreo und Drehscheibe

Vesna aus Tschechien inszenieren ihre Female-Empowerment-Hymne „My Sister’s Crown“ ganz in rosa Outfits, dazu haben alle angeklebte lange Zöpfe, die zwischendrin für einen eher traurigen Choreo-Moment herhalten müssen. Aber der Auftritt hat auch seine starken Phasen, besonders ein Shot, in dem alle im Kreis zusammenstehen, wird in Erinnerung bleiben.

Mia Nicolai und Dion Cooper haben dann tatsächlich eine rotierende Plattform auf der Bühne – wie einst die S!sters im deutschen Vorentscheid. Der Fokus bei „Burning Daylight“ liegt visuell zunächst auf Dion, der auch zu singen beginnt, aber dann wird versucht, beide einzubeziehen. Das klappt okay, ist durch die Plattform aber auch ein bisschen anstrengend zum Zuschauen – und beide müssen ständig laufen. Die erleichterte Umarmung am Ende der Performance haben sie jedenfalls sicherheitshalber schon mal mitgeprobt.

Der zweite große Favorit des Abends kommt zum Schluss: Käärijä beginnt seinen Auftritt für Finnland mit „Cha Cha Cha“ in einer Box, aus der er allerdings schnell ausbricht. Zwischenzeitlich performt er auf ihr, mit einem überdimensionalen Schatten im Hintergrund. Schließlich kommen die Tänzer*innen, ebenfalls aus der Box, hinzu, und das Staging wird ähnlich wild wie im finnischen Vorentscheid. Unter anderem läuft Käärijä um die Box herum, dazu gibt es Raupe, Krebsgang und Polonese. Ein Auftritt, der seine Ambitionen auf den Sieg auf jeden Fall unterstreicht.

Ebenfalls in der ersten Probe zu sehen waren Lord Of The Lost für Deutschland, La Zarra für Frankreich und Marco Mengoni für Italien. Sie werden in der Liveshow vorgestellt und Teile ihrer Auftritt eingespielt, die mit dem Ende der Show am Dienstagabend in voller Länge online abrufbar sein werden. Aufgenommen werden sie am Montagabend in der zweiten Durchlaufprobe.

Lord Of The Lost mit Pyro, aber ohne Kostüme

Lord Of The Lost waren dieses Mal ohne ihre typischen Kostüme, sondern in zivil zu sehen. Wohl ein Versehen, zumindest konnte man später hören, wie Sänger Chris La Zarra auf ihre Frage nach den fehlenden Outfits „No one told us, it was an accident“ antwortete. Ob LOTL nicht rechtzeitig von der Probe erfahren hatten oder davon, dass sie auch diese in ihren Bühnenklamotten absolvieren sollten, blieb dabei offen.

Der Durchlauf mit „Blood & Glitter“ zeigte dennoch, was sich die Band für das Finale am Samstag vorgenommen hat: Keyboarder Gerrit und Drummer Niklas sind auf einem großen, pyramidenförmigen Podest im Hintergrund und werden wie alle Musiker immer mal wieder in schnellen Schnitten eingeblendet, während der Kamerafokus natürlich auf Sänger Chris liegt. Dieser nutzt den Catwalk aus, den Song beenden er, Bassist Klaas und Gitarrist Pi auf der Vorderbühne zu massig Pyro.

La Zarra, die sich für Frankreich mit „Évidemment“ in den Favoritenkreis geschoben hat, ist auf einem Podest zu sehen, das hoch- und runterfährt. Zu Beginn ist es wie eine Verlängerung für ihr Kleid, zwischenzeitlich strahlt es auch einfach mit viel Licht um sich. Das große Finale zeigt auf der Leinwand die Tricolore, dazu gibt es Goldregen. Allerdings sieht man beim Auftritt deutlich, dass sie aus Sicherheitsgründen an einer Stange festgebunden ist, was der Show etwas an Glanz nimmt – und René Miller aus dem deutschen Vorentscheid lässt grüßen.

Sanremo-Sieger Marco Mengoni steht bei seiner Performance von „Due Vite“ in silbernem Tanktop alleine vorne am Mikrofon, während im Hintergrund zwei Tänzer unter anderem mit Trampolin zugange sind, die man nicht immer sieht, die aber die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während im Vordergrund abgesehen von einem stark gesungenen italienischen Popsong quasi nichts passiert.

EBU dreht Änderung zur Ergebnisverkündung zurück

Und dann versuchte es die EBU noch mit einer Änderung, die gründlich schiefging: Alle Halbfinal-Acts mussten zur Verkündung des Ergebnisses – 10 von 15 ziehen ins Finale des ESC 2023 ein – auf die Bühne kommen. Wer aufgerufen wurde, durfte die Bühne verlassen – eine unangenehme Zurschaustellung der Unterlegenen. Immerhin: Am frühen Abend wurde per Pressemitteilung verkündet, dass diese Änderung zurückgenommen wird. Die Acts werden also wie gewohnt im Greenroom sitzend erfahren, ob sie weiterkommen.

So geht es weiter: Am Montagabend um 21 Uhr gibt es die zweite Durchlaufprobe, bei der wie beschrieben die Auftritte von Lord Of The Lost, La Zarra und Marco Mengoni gefilmt werden, damit sie morgen Abend online gestellt werden können. Die Generalprobe ist für 14.30 Uhr am Dienstag angesetzt, die Liveshow beginnt dann um 21 Uhr.

 

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Foto: Corinne Cumming / EBU

 

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