INTERVIEW: Jendrik

Jendrik tritt beim Eurovision Song Contest 2021 in Rotterdam mit „I Don’t Feel Hate“ für Deutschland an. Wir haben uns vorab per Telefon mit dem Sänger unterhalten.

Jendrik

Im ausführlichen Interview mit bleistiftrocker.de spricht Jendrik unter anderem über seine Choreografie, Hasskommentare und den Kontakt zu anderen ESC-Teilnehmern.

bleistiftrocker.de: Wie sehr bestimmt der ESC gerade dein Leben?

Jendrik: Ach, gar nicht so sehr. Natürlich kommen ein paar Termine hinzu, die man vorher nicht hatte, Interviews oder Zoom-Calls, in denen man über die Inszenierung spricht. Und wir waren vor ein paar Wochen in Litauen, das hätte ich vorher auch nie gemacht. Da haben wir das Back-Up-Video gedreht. Aber sonst spiele ich noch genauso viel Playstation wie vorher.

Hast du schon verarbeitet, dass im Mai rund 200 Millionen Menschen deinen Auftritt sehen werden?

Es fragen immer alle, ob ich nervös bin, aber das bin ich nicht. So gesehen habe ich es schon verarbeitet. Das Schöne ist ja, dass ich dort einen Song spiele, den ich selbst geschrieben habe und von dessen Message ich überzeugt bin. Dementsprechend habe ich keinen Druck, mich blamieren zu können, weil ich happy mit dem bin, was ich da mache.

Du hast den Dreh des On-Tape-Videos in Litauen bereits angesprochen. Wie war das?

Das war mega. Dadurch, dass wir den Auftritt jetzt schon auf Kamera gesehen haben, sind wir jetzt in der Luxussituation, dass wir sagen können: „Ey, es ist noch nicht genau das, was wir zeigen wollen.“ Und haben jetzt noch die Möglichkeit, einige Sachen zu ändern. Ich habe gerade einen neuen LED-Content für den Hintergrund gesehen, den unser Kreativ-Team gestaltet hat und der ein bisschen anders ist als der, den wir in Litauen hatten. Es ist jetzt noch mehr das, was wir zeigen wollen. Jetzt hoffen wir natürlich, dass wir dann in Rotterdam live sein werden.

Wie oft verfluchst du bei den Proben, dass du so viel Choreografie und so schnelle Gesangsparts hast? Da gibt es sicher viel zu tun.

Es geht tatsächlich. Ich hab es ja für mich geschrieben. Der Schnelltext ist tatsächlich kein Problem, das kriege ich hin, das ist im Körper drin. Das habe ich damals, als ich den Song geschrieben habe, schon jeden Tag geübt. Wenn ich früh genug anfange, meine Kondition aufzubauen, so vier Wochen vorher, dann ist auch die Choreo kein Problem. Das bin ich ja auch gewohnt. Im Gegensatz zu anderen Musicaljobs ist das eigentlich noch ziemlich entspannt. In Litauen hatten wir übrigens das Glück, dass sie in Dancebreaks mein Mikrofon runtergedreht haben. Weil man natürlich laut atmet, wenn man tanzt. Ich bin mal gespannt, ob das in Rotterdam auch der Fall sein wird, sonst muss ich noch lernen, dass ich aufhöre zu atmen in den Tanzbreaks. Das wäre noch mal ein höheres Niveau.

Darüber, wie du im Alleingang das Video geplant und produziert hast, hast du ja schon viel gesprochen. Aber wann und wie ist denn der Song selbst entstanden?

Die erste Sprachmemo mit einer Melodie-Idee habe ich im April 2019 aufgenommen. Und dann über den Sommer ist der Song komplett entstanden.

Und wann kam dann die Idee, dass der Song ein aufwendiges Video braucht und dass er außerdem zum ESC muss?

Das waren tatsächlich zwei verschiedene Dinge. Als erstes war die Idee, dass das der Song werden muss, der zum ESC geht. Ich hatte 2019 angefangen, mit einem Produzenten-Freund zu schreiben, dass ich tatsächlich auch mal meine eigene Musik machen möchte. Als im Sommer dieser Song entstanden ist, habe ich gesagt: Der Song muss zum ESC, den müssen wir als erstes produzieren. Dann haben wir ihn im November aufgenommen. Das Musikvideo kam dann tatsächlich erst, als ich wegen Corona frei bekommen habe und die Zeit für ein solches Projekt hatte.

Wie hoch war für dich die Fallhöhe, nachdem du von Anfang an öffentlich gemacht hast, mit dem Song zum ESC zu wollen?

Dadurch, dass ich kein Künstler war, der irgendeinen Namen hatte, hatte ich auch keine Fallhöhe in dem Sinne. Wenn man von der ersten Treppenstufe runterspringt, hat man ja quasi keine Fallhöhe. Aber ich hätte es geil gefunden, hätten wir vom Vorentscheidsprozess erzählen dürfen. Dann hätte ich sagen können: „Hey Leute, ich bin es nicht geworden, aber ich war im Finale, und hier ist die Story dahinter.“ Das hätte ich ja nicht sagen dürfen. Für Künstler wie mich wäre natürlich ein öffentlicher Vorentscheid besser.

Du hast eben deinen Produzenten-Kumpel Christoph Oswald angesprochen, der auch in den Credits steht. Was hat er zum Song beigetragen?

Ich habe den Song geschrieben, bin aber kein Produzent. Über eine gemeinsame Freundin habe ich ihn kennengelernt und gefragt, ob er Lust hätte, den Song mit mir gemeinsam zu produzieren und zu arrangieren. Er hat meine Ideen umgesetzt. Und deswegen steht er auch in den Credits. Eigentlich habe ich ihn komplett geschrieben, aber dadurch, dass er genauso ein „Neuling im Business“ wie ich ist, haben wir gesagt, dass wir uns die Urheberrechte auf eine faire Weise teilen. Er macht gerade seinen Master an der Popakademie in Mannheim.

Du hast neulich ein lustiges Video über Hasskommentare gemacht, die es im Netz über dich gibt. Prallt sowas wirklich an dir ab?

Ich glaube nicht. Also wenn ich einen zwischendurch lese, prallt das total ab. Einige sind auch echt witzig. Aber an dem Tag, an dem ich die Kommentare rausgesucht und mich nur darauf konzentriert habe, trifft einen das natürlich und man denkt: Oh mein Gott, jetzt bräuchte ich kurz eine Kuscheleinheit. Aber eigentlich sind die meisten Kommentare positiv, die negativen sind in der Unterzahl. Und ich sehe ja zum Glück nicht, was die Leute denken.

 

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Die Message deines Songs ist, dass man auf Hass nicht mit Hass reagieren soll. Kann man das denn immer schaffen? Hast du eine Strategie?

Man kann es schaffen. Man muss sich aber immer wieder dran erinnern. Es ist natürlich, dass jeder irgendwann mal Hass spürt. Aber dann ist der Clou, zu sagen: Moment, ich will das jetzt ändern. Das ist so mein Stil im Leben und das habe ich in den letzten Jahren auch immer sehr gut hinbekommen. Weil Hass einfach scheiße ist, egal von welcher Seite er kommt. Natürlich ist es schwer, aber es ist Training. So wie am Anfang ein 100-Kilogramm-Stein schwer ist. Aber irgendwann kann man ihn hochheben. So ist das mit den optimistischen Gedanken, irgendwann kann man die auch stemmen.

Dein Song wurde ja schon vor der offiziellen Präsentation im Internet geleakt. Wie war das für dich?

Also dadurch, dass erst mal nur 20 Sekunden draußen waren, dachte ich: Ach cool, da teasert jemand den Song für mich, das ist ja ganz witzig. Und einen Tag vorher war er dann ganz draußen. Aber es war ja auch nur in der ESC-Bubble so, dass die Leute es gefunden haben. Ich glaube sogar, dass schon einige wussten, bevor ich überhaupt bekannt gegeben wurde, dass ich der deutsche Kandidat bin. Ich glaube die ESC-Bubble ist sehr detektivisch unterwegs, die wissen sehr viel. Und ich gönne es ihnen.

Dein Name war ja auch schon Ende des vergangenen Jahres in diversen ESC-Medien zu lesen. Hat es das für dich noch mal schwerer gemacht, wirklich dichtzuhalten?

Ja. Ich wurde natürlich gefragt und habe immer gesagt: „Ich habe was unterschrieben, dass ich nichts verraten darf.“ Und das war auch die Wahrheit.

Hast du einen Lieblingssong aus dem aktuellen ESC-Jahrgang?

Ich habe mehrere, die ich geil finde. Ich finde Finnland geil, ich finde Italien geil. Und bei Großbritannien ist der Party-Teil auch geil. Ich hab dieses Jahr irgendwie mehr auf Uptempo-Musik Lust, das habe ich beim Durchhören gemerkt. Wobei bei den ruhigen auch schöne Sachen dabei sind, zum Beispiel die Ballade aus der Schweiz. Frankreich hat diese schöne Chanson-Nummer. Und Portugal war auch geil, der hat auch so eine geile Stimme. Da sind viele, die dieses Jahr echt geile Dinger rausgebracht haben.

Du hast in Litauen kurz The Roop getroffen. Bestehen sonst noch Kontakte zu anderen Kandidaten aus diesem Jahr?

Nein, noch nicht. Dadurch, dass ich neu in diesem Popmusik-Business bin, habe ich da noch keine Kontakte in irgendeiner Art und Weise. Ich hoffe einfach, dass wir in Rotterdam irgendwie einen Ort haben, wo wir uns safe und gesund treffen können und man da so wenigstens ein paar Leute kennenlernen kann. Das ist doch, warum der ESC entstanden ist: Dass Länder zusammenkommen und sich gegenseitig kennenlernen.

Gab es denn wenigstens inzwischen Austausch mit früheren deutschen Kandidaten? In der Pressekonferenz hast du gesagt, dass du dich gar nicht traust, sie anzusprechen…

Noch habe ich mich immer noch nicht getraut. Ich habe schon über meinen Manager gehört, dass sich welche gemeldet haben, aber direkten Kontakt hatte ich noch nicht. Es ist wegen Corona ja auch nicht so möglich. Aber mit Ben Dolic habe ich kurz geschrieben. Der ist cool. Ich hatte mich bei ihm für den netten Post bedankt, den er geschrieben hat, als mein Name veröffentlicht worden war und dann haben wir uns kurz ausgetauscht.

Neben „I Don’t Feel Hate“ gibt es bislang nur einen weiteren Song von dir auf YouTube zu hören. Wird bald mehr kommen?

Da ist was geplant. In welcher Form und welcher Art werden wir dann sehen. Es kommt ganz drauf an, was ein Label nach dem ESC sagt. Dadurch, dass ich keine rich bitch, sondern eher ein poor boy bin, ist es einfach eine Frage, ob das Label danach Interesse an einem Album oder einer Single hat. Oder es hat einfach keinen Bock und ich habe wieder freie Bahn für mich alleine.

Aber Material hast du auf jeden Fall?

Ich habe Material ohne Ende, das ist kein Problem. Ich schreibe Songs, seit ich 18 bin, habe sie aber noch nie irgendwo hingepackt, weil ich einfach zu schüchtern war, sie rauszubringen. Dadurch, dass ich es mit dem ersten jetzt gleich zum ESC geschafft habe, denke ich: Komm, so zwei oder drei Leute werden deine Musik mögen, da kannste auch ruhig noch deine anderen Lieder zeigen.

Was passiert bei dir denn in den nächsten Wochen noch, bevor es dann hoffentlich nach Rotterdam geht?

Da müsste ich jetzt in meinen Kalender gucken… Wir sind bei der Pre-Party von Spanien dabei. Dadurch, dass das auch wieder online stattfindet, machen wir ein Online-Video dafür. Das wird ganz witzig, darauf freue ich mich. Und wir haben eine Akustik-Version des Songs geplant, hoffentlich schaffen wir es noch, die fertig zu stellen. Die ist ganz süß.

 

Die Antworten von Jendrik auf unsere drei Standard-Fragen gibt es hier.

 

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Foto: NDR

 

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