Voyager: „Man muss sich als Liveband ein bisschen zügeln“

Australien wird beim ESC 2023 in Liverpool von der Band Voyager vertreten. Wir haben mit Sänger Danny Estrin gesprochen.

Voyager, Eurovision Song Contest 2023

Im Interview mit bleistiftrocker.de erzählt Danny Estrin von Voyager unter anderem von seinen deutschen Wurzeln, seiner ESC-Leidenschaft und dem Song „Promise“.

 

bleistiftrocker.de: Wir können dieses Interview auf Deutsch führen. Was ist der Hintergrund?

Danny Estrin: Ich bin ursprünglich aus Buchholz in der Nordheide in Niedersachsen. 1992 bin ich mit meinen Eltern nach Australien ausgereist. Ich bin dort zur Schule gegangen, habe dort ein Jura-Studium abgeschlossen und arbeite jetzt auch immer noch als Rechtsanwalt. Den Bezug zu Deutschland habe ich aber immer beibehalten. Ich habe auch kurze Zeit in Deutschland gearbeitet und ein halbes Semester als Austauschstudent in Göttingen verbracht. In der Uni-Zeit in Australien habe ich ein paar Leute kennengelernt, die auch melodischen Metal super fanden. Da haben wir gesagt, dass wir eine Band mit Keyboards machen, das war damals im Metal verpönt. Nach sieben Alben und etlichen Welttourneen machen wir es immer noch und sind jetzt beim ESC dabei.

Ihr habt als Überbegriff „Metal“, aber in der Musik steckt noch deutlich mehr. Aus welchen Einflüssen schöpft ihr?

Wir wurden immer in die Kategorie „Metal“ geschoben. Das ist natürlich einerseits cool, weil wir Metal lieben. Aber als Otto Normalbürger würden man vielleicht sagen, dass es gar kein Metal ist, sondern wie Achtziger-Synthpop mit ein paar schweren Gitarren klingt. Es war in unserer Karriere auch manchmal schwer, aus der Metal-Schiene herauszukommen, damit die Leute wirklich zuhören. Deswegen ist es dieses Jahr beim ESC so wunderschön, dass Millionen von Menschen reinhören müssen. Die Einflüsse? Alles von richtig hartem Metal, von Meshuggah und der ganzen harten Schiene bis zu Ethno-Pop, Psytrance und klassischer und ambient Musik. Wir sind sehr vielfältig in dem, was wir hören.

Du hast gesagt, dass du noch immer als Anwalt arbeitest. Wie muss man sich das vorstellen – halbtags Anwalt und halbtags Rockstar?

Das kann man leider nicht halb machen. Ich bin Vollzeit-Anwalt und Vollzeit-Musiker. Ich habe meine eigene Kanzlei und auch Angestellte, die total hinter dem stehen, was ich mache. Aber ich muss es schon koordinieren und nehme das auch sehr ernst. Ich mache Migrationsrecht, das heißt die Zukunft vieler in Australien hängt von meiner Arbeit ab. Deswegen darf ich das einfach nicht vernachlässigen.

Ihr seid im vergangenen Jahr beim australischen Vorentscheid angetreten. War das eure erste Bewerbung für den ESC?

Nein. Die Idee kam 2015, da haben wir den Hashtag #VoyagerForEurovision gemacht. Als wir in der Weltgeschichte auf Tour waren, haben die Leute immer gesagt, dass wir perfekt für den Eurovision wären. Und jetzt sind wir halt hier. Es ist eigentlich absurd, dass eine Progressive-Synth-Metalband aus Perth in Westaustralien mit einem deutschen Leadsänger beim ESC dabei ist. Das ist so höchst unwahrscheinlich, dass es doch irgendwie stimmen muss. Ich bin auch großer ESC-Fan, 2019 war ich in Tel Aviv dabei. Ich glaube ich bin sogar im Eurovision-Film von Will Ferrell ganz klein irgendwo dabei. Und weil es so ein wichtiger Teil meines Lebens ist, haben wir es immer weiter versucht. 2019 sind wir fast in die Top Ten gekommen. Und letztes Jahr haben wir gesagt: Jetzt machen wir es wirklich.

Und ihr seid mit „Dreamer“ im australischen Vorentscheid Zweite geworden, nur ganz knapp hinter Sieger Sheldon Riley.

Das hätten wir uns nie erträumt. Wir waren auch überhaupt nicht enttäuscht. Für uns waren wir schon die Gewinner. Als wir gefragt wurden, ob wir es noch mal machen wollten, waren wir uns erst nicht sicher. Dann haben wir „Promise“ geschrieben, für den ESC. Es ist auch ein bisschen mehr gestaged, „Dreamer“ war eher so gleich rein. Wir haben aber nicht damit gerechnet, sondern gedacht, dass es Kylie Minogue oder so wird. Und als Australien gesagt hat, dass sie nicht mal einen Vorentscheid machen, war uns klar, dass ein großer Superstar auftreten wird. Aber dann haben wir den Anruf bekommen, dass wir dabei sind. Da sind wir fast vom Stuhl gefallen.

Ihr habt „Promise“ also eigentlich erst mal für den Vorentscheid geschrieben?

Ja. Man stellt sich natürlich vor, wie ein Song auf der Bühne ist mit der idealen Inszenierung. Und es ist gar nicht mal so einfach, die drei Minuten einzuhalten. „Dreamer“ war eigentlich länger und wir haben es ein bisschen geschliffen. Aber bei „Promise“ wussten wir von Anfang an, was wir machen müssen. Wir hatten eine Wunschliste von Sachen, die reinmüssen: ein Breakdown, ein Keytarsolo und ein Gitarrensolo.

Australien hat ja schon recht früh bekanntgegeben, keinen Vorentscheid zu machen, schon 2022. Eure Teilnahme wurde aber erst in diesem Jahr verkündet. Wie war denn der zeitliche Ablauf – wann wusstet ihr, dass ihr der Act für 2023 seid?

Ich kann dir nicht verraten, wie lange es war. Aber es war lange. Es frisst einen von innen auf. Man will es den Leuten erzählen und darf es nicht. Wir konnten es irgendwie vertuschen, aber wir saßen schon ziemlich lange drauf.

Wovon handelt denn „Promise“?

Es geht darum, dass wir heutzutage in einer ziemlich chaotischen Welt leben. Deswegen ist er ganz positiv, denn manchmal braucht man jemanden, der einem sagt, dass schon alles okay sein wird. Das ist natürlich nicht brutal Metal-mäßig, aber der Song hat was Persönliches und auch etwas Übergreifendes für alle. Manche sagen, dass es der perfekte Song für die aktuelle Situation in Europa ist. Bei dieser Ungewissheit kann man sich schon mal sowas anhören und sagen: Es wird schon okay sein. Ob es okay wird oder nicht, ist egal, aber in diesem Moment muss man aus dem Makro raus und ins Mikro rein und schauen, was einem dieses Gefühl geben kann. Es ist eigentlich eine ganz schöne Message.

Du hast gesagt, dass ihr den Song schon mit einem Staging im Hinterkopf geschrieben habt. Da ist natürlich die Frage, wie es beim ESC in Liverpool aussehen wird.

Das sage ich dir noch nicht.

Muss denn noch viel gemacht werden oder seid ihr fertig?

Fertig ist glaube ich noch keiner damit. Wie ich uns kenne sind wir erst zwei Tage vor dem Auftritt fertig. Man muss auch sehr vorsichtig sein, dass man es nicht überschwänglich macht. Wir sind fünf Leute auf der Bühne. Und viele da draußen haben den Song ja noch nie gesehen. Viel mit Lichtspielerei, ich will auf jeden Fall, dass der Effekt super Sythie und Achtziger wird, aber auch noch auf dieser Metal-Schiene. Was ich dir verraten kann: Es wird ein kleines bisschen extra geben. Australien macht nichts ohne ein kleines bisschen extra. Was es aber ist, kann ich dir noch nicht verraten.

Ist es für euch als Liveband denn schwer, dieses Mal vor allem für die Kameras zu spielen?

Ja. Da muss man sich teilweise auch zügeln. Wir sind es gewohnt, über eine Stunde zu spielen und dann spielt man nur drei Minuten. Das haben wir bei der Pre-Party in Madrid gemerkt. Monatelang sprechen wir in Interviews über unsere Musik und endlich dürfen wir drei Minuten spielen. Ich habe mir die Hand aufgeschlagen, weil ich so überschwänglich war. Das muss man als Liveband ein bisschen zügeln und die Energie des Publikums nehmen und quasi in die Kameras reinwerfen.

Als ESC-Fan in Australien kannst du sicher gut beschreiben, wie so ein ESC-Tag für die Fans dort normalerweise abläuft.

Es ist 3 Uhr morgens bei uns an der Westküste und 5 oder 6 Uhr an der Ostküste. Es werden in jeder Stadt Partys organisiert und es ist viel Alkohol oder Kaffee dabei. Ich bin so ein Mega-Fan, ich habe 2021 mein zehn Tage altes Kind zu einer Eurovision-Party mitgenommen. Die Leute fahren voll drauf ab, mit Kostüm und allem möglichen. Auch zu Uni-Zeiten hatten wir Eurovision-Partys. Das geht richtig ab.

Wie sind denn die Pläne von Voyager für die Zeit nach dem ESC?

Wir haben ein neues Album, das wahrscheinlich im Juli oder August rauskommt. Ende Juni gibt es eine Tournee in Australien und im Oktober sind wir wieder in Europa und machen eine Headliner-Tour. Ich hoffe, dass viele ESC-Fans sagen, dass wir eine Band sind, die sie auch gerne mal live sehen möchten.

 

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Foto: Mike Dann