INTERVIEW: Madrugada

2019 war das Jahr von Madrugada: Die norwegische Band feierte ein Comeback und spielte zahlreiche Konzerte in ganz Europa. Wir haben mit Sänger Sivert Höyem über die vergangenen zwölf Monate gesprochen.

Madrugada

Im Interview mit bleistiftrocker.de spricht Sivert Höyem von Madrugada unter anderem über das intensive erste Konzert, die neue Besetzung und wie es mit der Band im neuen Jahr weitergehen wird.

bleistiftrocker.de: Wie viele Konzerte habt ihr 2019 gespielt, kannst du sie überhaupt noch zählen?

Sivert Höyem: Ich weiß es gar nicht ganz genau, aber es müssten so um die 75-80 gewesen sein. Es war ein arbeitsreiches Jahr.

Nach eurem Reunion-Konzert im Februar 2019 haben wir uns kurz getroffen und du hast den Auftritt als „intensiv“ beschrieben. Was kommt dir noch in den Sinn, wenn du an diesen Abend denkst?

„Intensiv“ ist wahrscheinlich die beste Beschreibung der beiden Comeback-Abende. Wir hatten in dieser Formation, mit Jon am Schlagzeug, seit 2001 nicht mehr gespielt, bei den ersten Shows waren wir also sehr fokussiert und es war eine ganz schöne Erleichterung, als wir sie hinter uns hatten und sie so extrem erfolgreich verlaufen waren. Auch die Reaktion der Zuschauer war außergewöhnlich.

Ihr habt auch diverse Shows in Deutschland gespielt, Clubshows im Frühjahr und im Herbst plus das Maifeld Derby in Mannheim. Welches war der denkwürdigste Auftritt?

Sie waren alle denkwürdig. Der erste Schwung an Europa-Terminen im Frühjahr war Monate vorher bereits ausverkauft. Da haben wir festgestellt, wie sehr die Band vermisst wurde und wie sehr es angewachsen und verbreitet worden war in den Jahren, in denen wir weg waren. Die Atmosphäre bei den Shows war absolut einmalig, so warm und gemeinschaftlich und schön, sowas hatte ich zuvor noch nie erlebt.

Wie war es, wieder mit Jon aufzutreten, der die Band seinerzeit sehr früh verlassen hatte?

Es war unglaublich. Er hat diese Eigenheiten in seinem Spiel, die ein sehr lebendiger Part in unserem Sound auf den ersten Alben sind. Das habe ich sofort in den ersten Proben gespürt – es war das Gefühl unserer alten Band. Es war eine sehr heilende Erfahrung für uns alle, und Jon ist so ein liebenswerter, unglaublich lustiger Typ. Und er ist auch ein unfassbar guter Drummer in diesen Tagen – ich fühle mich sehr wohl mit Jon und Frode bei mir.

Ihr habt den 2007 verstorbenen Robert Buras, das vierte Gründungsmitglied von Madrugada, durch zwei Musikern aus deiner Solo-Band ersetzt, Cato Salsa und Christer Knutsen. Was haben die beiden zu eurem Sound beigetragen?

Es ist schwer, Robert bei Madrugada zu ersetzen, in vielerlei Hinsicht ist es nicht möglich. Er ist wahrscheinlich der inspirierendste Musiker, den ich je kennengelernt habe, er konnte mit seinem Gitarrenspiel einfach alles – jeden Abend hat er jenseits seiner Fähigkeiten gespielt. Er ist live große Risiken eingegangen, das war für mich als Sänger sehr inspirierend, aber es gab auch immer ein bisschen Unsicherheit, man wusste nie genau, was passieren würde. Ich denke, dass uns die aktuelle Version der Band mit Cato und Christer ein bisschen reifer und beständiger macht, und das meine ich auf die netteste mögliche Art. Mit mehr Händen sind wir außerdem fähig, den Sound unserer Alben genauer nachzustellen, was die Ambition war, seit wir uns zur ersten Probe getroffen haben, weil wir das in der Vergangenheit nicht tun konnten. Sie sind beide sehr vielseitige Musiker und es ist ein Traum, mit ihnen unterwegs zu sein, diese Art von Sicherheit und Professionalität kam in unserer Band immer ein bisschen kurz, deshalb ist es wichtig, das jetzt bei diesem Comeback zu haben. Ich kann sie nicht genug loben, wir hätten es ohne sie nicht machen können.

Es gab sehr viele positive Reviews für eure Shows, vor allem in eurer Heimat Norwegen. Liest du sie?

Ja, ich habe einige gelesen und sie waren alle wirklich großartig. Ich denke wir verdienen gute Reviews, deshalb ist das alles gut so.

Ihr spielt zum Jahresabschluss noch einige Konzerte in eurer Heimatstadt Oslo. Was können die Fans davon erwarten?

Wir versuchen, die Dinge ein bisschen zu verändern für diese Shows. Wir haben das ganze Jahr über nahezu dasselbe Material gespielt, ein bisschen Variation wird an diesem Punkt also nicht wehtun. Das ist alles, was ich verrate …

Was bedeutet dir das Album „Industrial Silence“ 20 Jahre nach Veröffentlichung?

Es ist ein Album mit einer mystischen Aura und es ist vielleicht unser einziger „Klassiker“ … was mich natürlich stolz macht. Für mich persönlich ist es ein Blick darauf, wer ich damals war. Es gibt einer zarte Seite bei einigen der Lyrics, die ich vergessen hatte und ich denke es ist gesund, dass ich daran erinnert werde. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Liebe gefunden, als ich diese Songs geschrieben habe und das findet sich in den Worten wieder. Natürlich gibt es auch Tough-Guy-Dinge und einige moralische Empörung, die sich für mich heute etwas aus der Zeit gefallen anhört. Aber es gibt auch Wärme und ein bisschen Hoffnung, die die späteren Alben nicht haben.

Vor einigen Jahren habt ihr Deluxe-Editionen der ersten beiden Madrugada-Alben veröffentlicht. Gibt es für die späteren Alben auch solches Material?

Wir haben sehr viel unveröffentlichtes Material, aber das Deluxe-Projekt wurde dadurch gestoppt, dass EMI von Warner Music gefressen wurde. Wir haben damals bei Virgin unterschrieben und das war die Firma, die uns all die Gelegenheiten gegeben hat, aufzunehmen, zu touren und uns als Band zu entwickeln. Dann wurde Virgin zu EMI und von da an ging es wirklich bergab. Mal sehen, was in Zukunft passiert, aber diese Deluxe-Sache ist wahrscheinlich abgesetzt.

Ihr habt 2019 auch einen neuen Song aufgenommen und veröffentlicht: „Half-Light“, der für einen Film geschrieben wurde. Wie kam es dazu?

Die Anfrage kam von einem lokalen Verlag hier in Norwegen. Keine Ahnung, warum sie uns wollten, aber die Gelegenheit haben wir wahrgenommen. Wir fanden immer, dass unsere Band auch eine cineastische Seite hat, aber haben vorher nie irgendeine Filmmusik gemacht. Der „Amundsen“-Film war ein spannendes Projekt und auch eine große Produktion, es fühlte sich also nach einer guten Gelegenheit an.

Warum habt ihr „Half-Light“ nicht bei euren Konzerten gespielt?

Wie gesagt, der Song wurde für einen Film geschrieben und wir fanden, dass er unseren Sound nicht per se repräsentiert. Und natürlich hatten wir auch so schon genug Material, das die Leute vermutlich dringender hören wollten. Aber trotzdem ist es ein wundervoller Song auf seine eigene Art, und es war eine gute Gelegenheit für uns, etwas Neues zu machen.

Du bist seit vielen Jahren auch als Solo-Künstler unterwegs. Gibt es Pläne für neue Musik oder wieder eine Tour ohne Madrugada?

Auf jeden Fall, SO einfach werdet ihr mich nicht los …

Die letzte Frage muss natürlich die nach der Zukunft von Madrugada sein. Wie geht es weiter für die Band? Weitere Touren? Ein neues Album? Eine Pause? Eine erneute Trennung?

Es war ganz sicher ein sehr inspirierendes Jahr für uns. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt, aber es gibt aktuell keine konkreten Pläne. Jetzt konzentrieren wir uns erst mal darauf, die Tour ordentlich zu beenden.

 

Weitere Informationen über Madrugada

Facebook
Instagram
Alle Artikel auf bleistiftrocker.de

Foto: Knut Aaserud

 

Musik von Madrugada kaufen