INTERVIEW: Sheldon Riley

Sheldon Riley nimmt für Australien mit „Not The Same“ am Eurovision Song Contest 2022 teil. Per Zoom haben wir uns ausführlich mit dem Sänger unterhalten.

Sheldon Riley

Im Interview mit bleistiftrocker.de spricht Sheldon Riley unter anderem über die Bedeutung des ESC für ihn in Australien, seine schwierige Kindheit und seine Masken.

 

bleistiftrocker.de: Du hast mehrfach betont, dass es dein großer Traum war, am Eurovision Song Contest teilzunehmen. Was hat dir der Wettbewerb bedeutet, als du ihn von Australien aus beobachtet hast?

Sheldon Riley: Er hat mir alles bedeutet. Sowas hatte ich zuvor noch nie gesehen. Ich komme aus einer sehr religiösen Familie, ich hatte nicht viel Zugang zu sowas wie dem ESC. Das war für mich wie bei „Charlie und die Schokoladenfabrik“, etwas ganz Neues und Anderes, das mich sehr inspiriert hat.

Du warst sogar bei einigen Pre-Partys dabei, obwohl du die mit Abstand weiteste Anreise hattest. Warum hast du diese Strapazen auf dich genommen?

Ich wollte ein Teil der Eurovision-Welt sein. In Australien ist es nur eine Drei-Tages-Show – das erste Halbfinale, das zweite Halbfinale und das Finale. In Europa ist es eine Party über einen Monat, eine sehr aufregende Zeit. Ich wollte ein Teil davon sein, von der gesamten Erfahrung. Das war für mich sehr wichtig.

Nach deiner ersten Probe hast du auf Instagram „Am I Dreaming?“ gepostet. Hast du inzwischen realisiert, dass es kein Traum ist und du tatsächlich in Turin bist?

Wenn ich das gerade träume, wache ich hoffentlich nie auf. Es ist so aufregend. Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich wäre.

Du hast bei den Proben einen eindrucksvollen weißen Dress getragen. Wirst du damit auch im Halbfinale antreten?

Ja, auf jeden Fall. Es war schwer, ihn überhaupt nach Turin zu bringen, er wiegt 40 Kilo.

Wie kannst du dich damit auf der Bühne überhaupt bewegen?

Es ist Magie. (lacht) Ich bin auf einer großen Treppe und ich gehe von unten bis nach oben. Es gibt also viel Bewegung. Es ist ein großes Gewicht, dafür habe ich viel trainiert. Ich habe mit Sandsäcken geübt, die ich mir um die Taille gebunden habe. Wenn ich dann Treppen gelaufen bin, konnte ich trainieren, wie schwer es ist, damit ich nicht umfalle und einen auf Madonna mache.

Wie viele Masken hast du mit nach Italien gebracht?

Viele. Ungefähr zwölf. Davon eine sehr wichtige mit Swarovski-Steinen, die ich auf der Bühne tragen werde.

Was machst du in Turin, wenn du nicht gerade probst oder Interviews gibst?

Ich fahre mit dem Scooter durch die Gegend. Ich liebe E-Scooter. Oder gut essen und Aperol Spritz trinken.

Wie kam es, dass du „Hold Me Closer“ von Cornelia Jakobs aus Schweden gecovert hast?

Sie ist wundervoll, oder? Ich liebe sie einfach und es ist so ein schöner Song. Für mich ist er der Song des Jahrgangs. Und ich mache das jedes Jahr, egal, ob ich selbst teilnehme oder nicht. Ich höre mir alle an und suche mir den raus, der mich am meisten anspricht. Und ihr Song ist so toll geschrieben.

Du hast deine Kindheit schon angesprochen. Wie groß war die Last für dich, in einem religiösen Umfeld aufzuwachsen?

Sehr groß. Ich habe in die Religion nicht wirklich gepasst, in der ich war. Zu eigentlich allem, was ich heute bin, wurde mir damals gesagt, dass ich es nicht sein sollte. Hinzu kam, dass bei mir das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde. Mir wurde lange gesagt, ich würde keine Freunde haben, keinen Job bekommen oder nicht wie ein normaler Mensch funktionieren. Mir wurde in jungen Jahren gesagt, was ich alles nicht erreichen würde, was ich alles nicht könnte und dass mein Erfolg nicht allzu groß werden würde. Und mit meinem Song habe ich mir damals gedacht: Ich lasse mir nicht von anderen sagen, wer ich bin und was mich ausmacht. Ich musste lange zu einer Art Psychoanalyse. Es wurde immer dafür gebetet, Sheldon hinzukriegen, damit er wie die anderen Kinder, wie die anderen Jungs ist. Wir sind zwei Mal pro Woche in die Kirche gegangen und da wurde immer für mich gebetet – dass ich normal bin, funktioniere und all das. Für mich hat es lange gedauert, das hinter mir zu lassen. Aber ich bin sehr stolz darauf, wer ich heute bin. Ich habe sehr hart dafür gearbeitet. Ich habe mich dafür entschieden, wie ich sein möchte und jetzt tue ich das, wovon ich immer geträumt habe.

An welcher Stelle hast du denn für dich gemerkt, dass du nicht „gefixt“ werden musst, sondern völlig in Ordnung bist? Kam das durch die Musik?

Ja. Ich meine, ich bin definitiv im Asperger-Spektrum, aber was in mir vorgeht muss nicht gefixt werden – das macht mich zu dem, der ich bin. Ich bekomme meine Kreativität davon und meine Fähigkeit, mich von der Welt abzukapseln. Ich liebe, wer ich heute bin. Es hat sich alles geändert, als mir klar wurde, dass ich niemand anders sein kann und die Sachen, von denen mir so lange erzählt wurde, dass sie gefixt werden müssen, nicht gefixt werden können, also kann ich auch einfach glücklich sein.

Da du jetzt auf einer Bühne stehst, bist du natürlich auch ein Vorbild für andere, die sich womöglich ähnlich fühlen wie du früher. Hast du einen Ratschlag, den du ihnen geben kannst?

Ich sehe mich selbst nicht als Vorbild. Ich bin ganz sicher nicht perfekt, ich bin auch nicht vollständig glücklich in meinem Leben. Ich liebe nicht alles an mir, ich lerne das noch jeden Tag. Mein Ratschlag wäre, nicht so hart mit dir selbst zu sein. Du hast ein Leben und kannst die Person, die du bist, nicht ändern. Wenn du denkst, dass mit dir etwas nicht stimmt, frage dich: Warum? Nach wessen Standards? Ich meine, ich habe sehr lange Masken getragen, weil ich mein Aussehen gehasst habe.

Du hast damals wirklich immer Masken getragen?

Ich wollte seit vielen Jahren performen und das einzige, was mich davon abgehalten hat, war, dass ich mit meinen Auftritten immer zufrieden war, bis ich Fotos und Videos gesehen habe und dachte: Oh man, ich hasse es, wie ich aussehe. Wie kann ich meinen Traum leben und damit glücklich sein, ohne mich selbst sehen zu müssen? Und dann habe ich entschieden, einfach immer Masken zu tragen oder Make-Up – alles, was mein Gesicht verstecken würde. Es hat einige Zeit gedauert, aber deshalb nehme ich die Maske auch bei meiner ESC-Performance ab – weil ich nicht promoten möchte, dass es eine gute Idee ist, sich selbst zu verstecken. Manchmal gibt es Dinge, denen man sich stellen muss und wir sind perfekt, wie wir sind.

Als du die Maske in deiner Performance mit „Not The Same“ im australischen Vorentscheid abgenommen hast, bist du in diesem Moment sehr emotional geworden. Passiert dir das immer noch?

Nein. Damals war ich sehr emotional, weil ich dieses Ding einfach so lange getragen hatte. So viele Jahre musste ich so vielen Menschen beweisen, wer ich bin. Ich musste mich selbst erklären, meine Kunst, meine Musik, meine Art zu Gehen und meine Art mich zu kleiden. Ich habe mich immer nur Leuten erklärt, damit sie verstehen konnten, wer ich bin. Beim nationalen Vorentscheid war ich umgeben von Menschen, die ich liebe und einem Publikum, das mich verstanden hat. Ich musste es nicht erklären. Das hat mich für einen Moment umgehauen. Ich dachte: Ich mache es jetzt. Und egal, ob ich den Vorentscheid gewinne oder nicht – zum Glück habe ich ja gewonnen – dafür habe ich gearbeitet, in meiner gesamten Karriere wollte ich einfach diesen Moment haben, an dem ich mich nicht mehr erklären muss. Deshalb bin ich sehr emotional geworden. Aber ich habe den Song nun so oft gesungen und ich will immer authentisch sein. Er ist nicht mehr für mich, er ist für andere Menschen.

Weißt du schon, was du nach dem ESC machen wirst?

Ich habe viele Pläne. Es sollen Songs veröffentlicht werden und ich schreibe gerade an einem Album. Ich möchte durch Europa touren und all die Menschen treffen, die mein Leben so bereichert haben. Ich liebe Australien, aber Europa ist in meinem Herzen.

 

Die Antworten von Sheldon Riley auf unsere drei Standard-Fragen gibt es hier.

 

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Foto: Sonja Riegel / bleistiftrocker.de

 

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